Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 1, Kapitel 17


Jesus in der Herberge vor der Stadt. Er belehrt nächtliche Gäste über Seine Stellung zum Tempel.

01] dass Ich Mich nach der Tempelreinigung mit allen denen, die Mir gefolgt sind, außerhalb der Stadt in einer kleinen Herberge aufhielt, ist schon im vorigen Kapitel gezeigt worden; aber jeder dürfte denn doch sicher mit der Frage kommen und sagen:

02] »Was hast Du, Herr, denn allda getan? Denn Du hast diese Zeit von doch wenigstens acht Tagen sicher nicht müßig zugebracht?«

03] Da sage Ich: Ganz gewiß nicht! Denn es kamen sozusagen bei Tag und Nacht in Masse Menschen aller Klassen aus der Stadt zu Mir. Die Armen kamen gewöhnlich am Tage, die Großen, Vornehmen und Reichen aber gewöhnlich in der Nacht, denn sie wollten sich vor ihresgleichen nicht schwach und verfänglich zeigen.

04] Da sie aber doch zum Teil ihre Neugierde und zum Teil eine Art gläubiger Ahnung für die Möglichkeit, dass Ich etwa doch der Messias sein könnte, antrieb, mit Mir eine nähere Bekanntschaft zu machen, so gingen sie in der Nacht hinaus und machten Mir Besuche, die gewöhnlich mit starkem Schmollen endigten; denn es rauchte diesen Vornehmen, Großen und Reichen ganz gewaltig in die Nase, dass Ich mit ihnen nicht wenigstens nur so gut und artig umging wie mit den vielen Armen, die Meine Güte und Freundlichkeit nicht genug rühmen konnten.

05] Auch wirkte Ich als Arzt bei den Armen viele Wunder, befreite die Besessenen von ihren Plagegeistern, machte die Lahmen gehend, die Gichtbrüchigen gerade, die Aussätzigen rein, die Stummen hörend und redend, die Blinden sehend, und das alles zumeist durchs Wort.

06] Das wußten die wohl, so in der Nacht zu Mir kamen, und verlangten von Mir auch ähnliche Zeichen, wogegen Ich ihnen stets bemerkte: »Der Tag hat zwölf Stunden und die Nacht ebenfalls zwölf. Der Tag ist bestimmt zur Arbeit, die Nacht aber zur Ruhe. Wer am Tage arbeitet, der stößt sich nirgends an, wer aber in der Nacht arbeitet, der stößt sich leicht an; denn er sieht es nicht, wohin er seinen Fuß setzt.«

07] Es fragten Mich etliche, aus welcher Macht und Kraft Ich solche Wunder verrichte. Die Antwort war ganz kurz diese: »Aus Meiner höchst eigenen, und Ich benötige hierzu keines Menschen Hilfe!«

08] Wieder fragten sie Mich, warum Ich nicht lieber in der Stadt eine Herberge nähme; denn zu so großen Taten gehöre ein großer Ort, nicht aber ein letztes Dörflein, das wohl in der Nähe der großen Weltstadt läge, aber von dieser ganz unbeachtet sei.

09] Ich sagte darauf wieder: »In einem Orte, wo vor den Toren der sich großdünkenden Bewohner Lanzenknechte Wache halten und nur den Glänzenden Einlaß geben, die Armen aber ohne Gnade abweisen, und wo man in jeder Gasse, so man ein fremdes Gesicht hat und nicht genug prächtig gekleidet ist, wenigstens siebenmal angehalten und befragt wird, wer und woher man sei, und was man hier tue, bleibe Ich nicht. Zudem liebe Ich nur, was vor der Welt klein und von ihr verachtet ist, denn es steht geschrieben: 'Was vor der Welt groß ist, ist vor Gott ein Greuel!'«

10] Und sie fragten und sagten: »Ist der Tempel nicht groß und herrlich, in dem Jehova wohnt?« - Sagte Ich: »Er sollte drinnen wohnen; aber da ihr den Tempel entheiligt habt, verließ Er diesen und wohnt nicht mehr darin, und die Lade Mosis ist leer und tot!«

11] Sagen die Nachtwandler: »Was redest Du hier für frevelhaftes Zeug zusammen? Weißt Du denn nicht, was Gott zu David und Salomon geredet hat? Kann das, was Gott geredet, je unwahr werden? Wer bist Du denn, dass Du Dich getrauest, solches vor uns zu reden?!«

12] Sage Ich: »So gut Ich in und aus Mir Selbst die Macht und Kraft habe, bloß durch Meinen Willen und durch Mein Wort alle Kranken zu heilen, die zu Mir kommen, ebenso habe Ich auch die Macht und die Kraft und das vollste Recht, solches vom Tempel vor euch zu reden, und sage euch nochmals, dass nun auch euer Tempel vor Gott ein Greuel ist!«

13] Hier fingen einige an zu murren, andere aber sagten: »Das ist offenbar ein Prophet, und diese haben sich über den Tempel noch allezeit ungünstig geäußert! Lassen wir ihn gehen!« Und so zogen diese Nachtwandler wieder ab.



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