Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 1, Kapitel 96


Jesus beruhigt den verärgerten Thomas. Judas will von Gott magische Weisheiten lernen. Jesu Ankunft in Kapernaum am galiläischen Meer.

01] Auf diese Spitzworte des Judas wird Thomas nahe außer sich vor Ärger und Zorn und will sich am Judas förmlich mit aller Energie vergreifen. Ich aber trete, schon nahe am halben Wege nach Kapernaum, zum Thomas hin und sage: »Bruder, solange du Mich ruhig und gelassen ersiehst, da bleibe auch du also, wie du Mich ersehen kannst, so du nur oft genug nach Mir hinschaust! Ja, wenn du einmal Mich wirst dreinschlagen sehen, dann spring schnell herbei und schlage, was du nur kannst, nach allen deinen Kräften drein! Aber jetzt ist es durchaus noch lange nicht nötig. Die Nacht bleibt Nacht, da kannst du tun, was du willst, und Judas wird Judas bleiben! Er ist zwar nicht dazu verdammt wie die Nacht, die der Erde natürlicher Schatten ist, aber so er Judas bleiben will, so bleibe er's; wir aber bleiben das, was wir sind! Die Folge aber wird es lehren, wieweit er es mit seinem Judas(geist) bringen wird!«

02] Sagt Thomas: »Aber das könntest Du, Herr, wohl tun, dass Du ihn hinwegschafftest von Dir, sonst wird er uns noch allerlei Spektakel machen; denn er hat einen säuischen und bösen Mund!«

03] Sage Ich: »Ich hieß ihn nicht kommen und werde ihn darum auch nicht gehen heißen; so er aber gehen will, wie er gekommen ist, da werden wir nicht weinen um ihn! Du aber halte dich ferne von ihm; denn ihr beide werdet nicht guttun miteinander. Vergib ihm aber alles, wie Ich ihm vergebe, so wirst du ein freies Herz haben!«

04] Sagt Thomas: »Was das Vergeben von meiner Seite betrifft, so hat das sicher seine guten Wege; denn ich habe sicher keinen Groll je auf ihn gehabt, obschon ich ihn stets als einen Menschen gekannt habe, mit dem nicht leichtlich ein Mensch auszukommen imstande war, - nicht einmal der Prophet Johannes, mit dem er zu öfteren Malen gehadert hat! Aber dass es mir ums unvergleichliche lieber wäre, wenn er nicht zu unserer Gesellschaft gehörte, das muß ich ganz offen gestehen!

05] Als ich vorgestern daheim war, da habe ich natürlich doch so manches von Deinen Taten meinen Bekannten erzählt, die sich darob nicht genug erstaunen konnten. Solches aber kam auch zu den Ohren des Judas; und wer entschloß sich eher als er, ein Jünger von Dir zu werden?! Denn des Johannes Lehre hatte ihn nicht befriedigt, weil dieser nichts als die strengste Buße predigte und verkündete allen ein allerstrengstes Gottesgericht, die nicht zur wahren Buße sich bekennen möchten, aus welchem Grunde es denn auch öfter zum Hader zwischen ihm und dem Johannes gekommen ist.

06] Johannes war ganz Buße, und Judas das schnurgeradeste Gegenteil! Er erklärte dem Johannes ganz ernstlich ins Gesicht, dass eine sogenannte Buße in Sack und Asche die größte Dummheit des menschlichen Lebens sei; der Mensch solle sich in der Tat bessern, aber nicht in Sack und Asche!

07] Johannes hat zwar auch nicht gerade Sack und Asche als zur wahren Buße unumgänglich notwendige Dinge anbefohlen, er hat es nur gewisserart gleichnisweise in seinen Reden dargestellt und wollte damit eine vollernstliche Besserung des Menschen, der ein Knecht der Sünden geworden, anzeigen; aber der alles besser wissen und verstehen wollende Judas wollte das nicht gelten lassen, dass man auch durch Bilder und Gleichnisse lehren könne, sondern man müsse sich bei so wichtigen Dingen, von denen das Heil der Menschen abhinge, allzeit mit klaren, verständlichen Worten ausdrücken!

08] Die Propheten waren nach seiner Idee lauter Esel, weil sie in Bildern geredet hätten, die man auslegen könne, wie man wolle; sie allein hätten dadurch die Priester, die Könige und das ganze Volk verdorben! Kurz, bei ihm ist ein jeder Mensch, hoch oder nieder, ein Esel, der nicht so denkt und handelt wie er; und darum meine ich, dass es sich mit ihm für unsere Gesellschaft nicht tun werde.«

09] Sage Ich: »Mein lieber Thomas! Was du Mir gesagt hast, habe Ich schon lange gewußt; aber dennoch sage Ich dir: So er gehen will, da gehe er; so er aber bleiben will, so bleibe er! Ich weiß noch viel mehr von ihm und weiß sogar, was er an Mir Selbst tun wird; aber dennoch soll er bleiben, so er bleiben will! Denn seine Seele ist ein Teufel und will von Gott die Weisheit erlernen; aber solcher Sinn wird dieser Seele einen schlechten Gewinn geben! Doch nun nichts mehr davon! Es wird sich schon ehestens eine Gelegenheit darbieten, wo wir ihm den Finger auf den Zahn legen werden! - Nun aber sind wir bei dieser Gelegenheit auch vor die Mauern Kapernaums gekommen, und Ich sehe aus dem Stadttor einen römischen Hauptmann uns in Gesellschaft des Obersten Kornelius und des Königischen entgegeneilen; da gibt es wieder einen Kranken zu heilen.«



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