Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 157


Geistige Auslegung der Schöpfungsgeschichte Mosis. Der erste Schöpfungstag.

01] (Der Herr:) »Heißt es nicht: a 'Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüste und leer und Finsternis auf der Tiefe; Gottes Geist aber schwebte über den Wassern. (a 1. Mose.01,01-02)

02] a Und Gott sprach:,Es werde Licht!', und es ward Licht. Gott sah, dass das Licht gut war; da schied Er das Licht von der Finsternis. Er nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.' (a 1. Mose.01,03-05 )

03] Seht, das sind die Worte Mosis! Wollt ihr sie im naturmäßigen Sinne nehmen, so müßt ihr ja doch auf den ersten Blick den dicksten Unsinn sogleich ersehen, der da notwendig zum Vorschein kommen muß!

04] Was wohl ist der 'Himmel' und was die 'Erde', davon Moses spricht, dass dies alles im Anfang erschaffen worden sei? Der 'Himmel' ist das Geistige, und die 'Erde' das Naturmäßige im Menschen; dieses war und ist noch wüste und leer wie bei euch. Die 'Wasser' sind eure schlechten Erkenntnisse in allen Dingen, über denen wohl auch der Gottesgeist schwebt, aber noch nicht in ihnen ist.

05] Da aber der Geist Gottes allzeit sieht, dass es in eurer materiellen Welttiefe ganz entsetzlich finster ist, so spricht Er zu euch, wie nun augenscheinlich: 'Es werde Licht!'

06] Da fängt es in eurer Natur zu dämmern an, und Gott sieht es wohl, wie gut für eure Finsternis das Licht ist; aber nur ihr selbst könnt und wollt es nicht einsehen. Deshalb aber geschieht denn auch eine Teilung in euch, nämlich Tag und Nacht werden geschieden, und ihr erkennt dann aus dem Tage in euch die frühere Nacht eures Herzens.

07] Bei dem Menschen ist sein erstes Natursein tiefer Abend, also Nacht. Da aber Gott ihm gibt ein Licht, so ist solch ein Licht dem Menschen ein rechtes Morgenrot, und es wird also aus des Menschen Abend und Morgenrot wahrlich sein erster Lebenstag.

08] Denn seht, wenn Moses, der doch in alle Wissenschaften der Ägypter eingeweiht war, die Entstehung des ersten Naturtages der Erde in seiner Schrift hätte anzeigen wollen, so dürfte er bei aller seiner Wissenschaft und Weisheit doch gemerkt haben, dass aus dem Abend und Morgen nie ein Tag hervorgehen kann; denn dem Abend folgt natürlich doch allzeit die feste Nacht, und dem Morgen erst der Tag.

09] Was sonach zwischen Abend und Morgen liegt, ist Nacht; nur was zwischen Morgen und Abend liegt, ist Tag!

10] Hätte Moses gesagt: 'Und also ward aus Morgen und Abend der erste Tag!', so könntet ihr darunter wohl den natürlichen Tag verstehen; aber so sagte er aus gutem Entsprechungsgrunde gerade umgekehrt, und das bedeutet den Abend und zugleich die Nacht des Menschen, was doch leicht zu begreifen ist, indem noch nie jemand ein in aller Weisheit sich befindendes Kind gesehen hat.

11] So ein Kind zur Welt geboren wird, da ist es in dessen Seele vollkommen finster und somit Nacht. Das Kind aber wächst auf, bekommt dann allerlei Unterricht und wird dadurch stets mehr und mehr einsichtig in allerlei Dingen, und seht, das ist der Abend, das heißt, es fängt dann in der Seele an, so dämmerig zu werden, wie im Vergleiche es am Abende ist.

12] Ihr sagt wohl, dass es auch am Morgen dämmere, und Moses hätte da ja sagen können: 'Und also wurde aus der Morgendämmerung und aus dem eigentlich schon hellen Morgen der erste Tag!'

13] Ich sage dazu: Allerdings, so er den Menschen in geistiger Entsprechung einen barsten Unsinn hätte vorsagen wollen! Aber Moses wußte, dass nur der Abend dem irdischen Zustande des Menschen entspricht; er wußte es, dass es bei den Menschen mit der rein irdischen Verstandesbildung gerade also zugeht, wie mit dem stets schwächer werdenden Scheine des natürlichen Abends.

14] Je mehr die Menschen mit ihrem Verstande nach irdischen Dingen zu ringen anfangen, desto schwächer wird in ihrem Herzen das rein göttliche Licht der Liebe und des geistigen Lebens. Daher nannte denn Moses ein solches irdisches Licht des Menschen auch den Abend.

15] Nur wenn Gott durch Seine Barmherzigkeit dem Menschen ein Lebenslichtlein im Herzen anzündet, dann fängt der Mensch erst an, einzusehen die Nichtigkeit alles dessen, was er zuvor mit seinem Verstande, dem geistigen Abend, sich angeeignet hatte, und er sieht es dann auch nach und nach stets mehr ein, dass alle die Schätze des Abendlichtes ebenso vergänglich sind wie dies Licht.

16] Das rechte Licht von Gott aber, im Herzen des Menschen angezündet, ist eben der Morgen, der mit und aus dem vorhergegangenen Abend den ersten wahren Tag im Menschen bedingt.

17] Aus dieser Meiner nunmaligen Erklärung aber müsst ihr nun auch einsehen, dass es einen sehr gewaltigen Unterschied zwischen den beiden Lichtern, oder besser Erkenntnissen, geben muß; denn alles Erkennen im Abendlichte der Welt ist trügerisch und daher auch vergänglich. Nur die Wahrheit dauert ewig; aber der Trug muß endlich zunichte werden.«



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