Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 208


Erdbeben, Seesturm und Gewitter als Episode in der Lehrzeit Jesu.

01] Wir verlassen nun den Hügel und begeben uns unter die schattenreichen Bäume. Da war eine schöne Rasenbank unter einem weitästigen Feigenbaume; auf die setzte Ich Mich und schlief ein; und alle anderen, selbst die Maria in Meiner Nähe, nahmen ebenfalls die Plätze ein und kamen zum Schlafe. Nur Jonael, Jairuth und Matthäus saßen an einem Gartentische, allwo Matthäus seine Tafeln zu ordnen begann und der Engel Jonaels und Jairuths ihn auf manche Mängel aufmerksam machte.

02] Gegen Mittag hin bemerkte Baram, der einstweilen mit Kisjonah auf dem Schiffe sich befand, dass in der Richtung vom Abend her ganz überaus schwere Wetterwolken über den Horizont sich zu erheben angefangen haben und der Wasserspiegel allmählich ruhiger und ruhiger ward, was da ein sicheres Zeichen war, dass in aller Kürze ein verheerend Ungewitter mit Erdbeben vereint kommen werde.

03] Baram ließ darauf schnell alles Eßbare aus dem Schiffe bringen und das Schiff so fest als möglich uns Ufer befestigen; und Baram war mit der Arbeit kaum fertig, als man von weitem die See schon in einer fabelhaften Höhe zu gehen anfangend ersah!

04] Da sprach Kisjonah: »Wir werden den Herrn und Dessen Jünger wecken müssen; denn bei solcher, von mir noch nie gesehenen Höhe der Wasserflut dürfte das Meer wohl den ganzen Garten überfluten, und die Schlafenden könnten dabei mehr oder weniger doch zu irgendeinem Schaden kommen! Es steht auch dahin, dass das Schiff ganz ans Uferland geschleudert wird.«

05] Sagt Baram: »Ja, Freund, wenn der Herr diesmal dem Sturme keine Schranken setzt, so dürfte der Schaden namenlos werden, den der Sturm anrichten würde! Aber ich verlasse mich auf den Herrn; Der wird uns sicher nicht zugrunde gehen lassen! Und ich meine, solange Er ganz ruhig schläft, dürften wir vom kommenden Sturme, der in wenigen Augenblicken da sein wird, wenig oder nichts zu fürchten haben; gehen wir aber dennoch schnell zu Ihm hin und machen Ihn aufmerksam auf den kommenden Sturm!«

06] Darauf eilen die beiden samt den Schiffsleuten zu Mir hin und versuchen Mich zu wecken; aber Ich erwache diesmal aus gutem Grunde nicht, und der Engel tritt zu ihnen und sagt: »lasst Ihn ruhen und wecket Ihn nicht; denn eben dieses notwendigen Sturmes wegen schläft Er! Die baldige Folge aber wird zeigen, wozu dieser Sturm gut war!«

07] Sagt Kisjonah: »Was aber dann, wenn des Meeres berghohe Wogen sogar über meine Gärten in der wildesten Flut hinwegspülen werden?!«

08] Sagt der Engel: »Sorge dich um was anderes! Meinst denn du, der Herr, so Er auch für dein Gesicht schläft, wisse um diesen Sturm nicht?! Sieh! Er will es also, und darum geschieht es auch also! Darum sei ruhig!«

09] Fragt Kisjonah: »Weißt du den Grund?« Antwortet der Engel: »So ich's auch wüßte, dürfte ich dir's dennoch nicht anzeigen, bevor es des Herrn Wille ist; darum frage um nichts mehr und sei ruhig, ohne Furcht und Angst; die Folge wird euch allen die Augen öffnen!«

10] Nach diesen Worten des Engels, der darauf ganz ruhig dem Matthäus seine Tafeln in eine gute Ordnung bringen half, ward Kisjonah ruhig, und Baram sagte: »Ich muß offen bekennen, solange ich lebe, habe ich noch nie was Drohenderes von einem Sturme, wie dieser nun vor uns jeden Augenblick auszubrechen drohend ist, gesehen; aber ich habe auch noch nie einem Sturme, wie dieser ist, gleichgültiger und furchtloser entgegengeschaut! Da siehe hin! Kaum mehr eine Viertelstunde Fahrzeit bei mäßigem Winde außer dieser auch leicht in gleicher Zeit zu durchrudernden Bucht! In ein paar Augenblicken müßte der Sturm hier sein!

11] Aber sieh, die ungeheuren Wogen ziehen nach der Länge des Meeres noch, wie gesagt, eine Viertelstunde außer der Bucht gerade in der Richtung gen Sibarah hin und gleichen schwimmenden Bergen, die in jedem Augenblick von tausend Blitzen zerschmettert werden! Und dennoch ist die Bucht so ruhig noch, dass man ganz leicht den Sturm in seiner Außenerscheinlichkeit wie das Uferland ganz rein erschauen kann; das ist eine gewiß überaus seltene Erscheinung! Man muß gestehen: So man so was mit ganz ruhigem Gemüte anschauen kann, so ist das im vollsten Ernste ein seltener, fürchterlich erhaben schöner Anblick! Aber denen, die sich möglicherweise draußen auf der hohen See befinden, wird's nun wohl anders zumute sein - als uns hier vor der spiegelruhigen Bucht!

12] Es ist im ganzen doch noch eine halbe Stunde hin zu der gräßlichst aussehenden Sturmlinie, und wie stark dröhnt des Donners mächtiger Hall an unsere Ohren herüber! Es muß drüben an der Sturmlinie rein zum völlig Taubwerden sein! Nun verspüre ich auch ein bedeutendes Beben des Erdbodens! Merkst du nichts davon?«

13] Sagt Kisjonah: »O ja, ich habe soeben dich darauf aufmerksam machen wollen; aber dass bei all dem meine Bucht noch so ruhig wie selten sonst verbleibt, das ist ein Wunder der Wunder! Denn nur zu gut weiß ich, was diese Bucht, so sie einmal zu wüten beginnt, für ein heillosestes Spektakel zu machen imstande ist! Aber noch ist das Wasser in und noch eine bedeutende Strecke außer der Bucht vollauf ruhig. Aber höre du, das Beben der Erde wird heftiger! Wenn es nur den Häusern keinen Schaden bringen wird! Nun bemerke ich auch schon ganz eigentümliche Kreisschwingungen in der Bucht, und außer der Bucht beginnt bereits die Springflut zu gehen; es wird nicht lange auf sich warten lassen! Nun, in des Herrn Namen! Mehr, als um dies irdische Leben kommen, kann uns nicht geschehen, und so mag da nun geschehen, was da will; der Herr und Sein Engel sind ja bei uns! Aber es ist ein schreckenerregendes Bild! Der Herr sei allen Sündern gnädig und barmherzig!«

14] Nun fängt auch die Bucht unruhig zu werden an. Starke Windstöße sausen durch die Bäume, und zahllose Blitze durchzucken das finsterschwarze Gewölk! Unter unerhört furchtbar starkem Gekrache schlagen mehrere in die Bucht und verursachen einen weithin heftig brausenden Gischt; aber noch fällt kein Regentropfen aus der glühenden Wolke. Es schlägt ein Blitz in den Hügel, auf dem wir die Nacht zugebracht haben; das überstarke Gekrache dieses Blitzes weckt nun bis auf Mich alle von ihrem guten Schlafe.

15] Als die vielen nun Erwachten solch ein unerhörtes Getöse und solch einen Sturm aller Stürme über sich erblicken und von zehn zu gleicher Zeit ans Ufer schlagenden Blitzen vollends wach werden, da erheben sie sich alle schnell vom Boden, und die Jünger eilen zu Mir hin und wecken Mich mit einem großen Angstgeschrei!

16] Und Judas sagt ganz erregt: »Aber Herr! Wie kannst Du wohl schlafen bei solch einem Elementensturme?! Es regnet nur gleich Blitze vom Himmel! Wer ist da aber auch nur einen Augenblick sicher vor dem Tode? Hilf, Herr, sonst geht die ganze Erde in Trümmer!«

17] Sage Ich: »Hat dich denn schon ein Blitz getroffen?« Sagt Judas: »Bis jetzt freilich wohl noch nicht; aber was bis jetzt noch nicht geschah, das mag bei diesem Sturme etwa doch wohl noch ganz leicht geschehen! Ich rede demnach nur solange noch, als ich lebe; der nächste Blitz wird mir wohl etwa für alle Zeiten der Zeiten das Reden untersagen!«

18] Als Judas noch also redet, siehe, da beginnt die Hochflut auch gegen die Bucht mit großem Gedröhne und Getöse sich zu wälzen; und weil die Flut scheinbar mehrere Klafter höher, als unser Standpunkt im Garten ist, sich erhebt, so fangen nun alle Jünger zu schreien an, und einige ergreifen sogar die Flucht auf die nächste Anhöhe, von der sie aber bald die vielen tausend Blitze zurücktreiben. »Herr, hilf uns, wenn Du kannst und magst, - sonst gehen wir alle zugrunde!« schreien nun Hunderte. Nur Matthäus, Jairuth, Jonael und ihr Engel lassen sich nicht irremachen und sind mit ihrer Arbeit dem Ende nahe.

19] Ich aber tue diesmal dem Sturme, was sein blindes Toben und Wüten betrifft, keinerlei Einhalt, sondern lasse ihm seinen Gang; nur darf er keinen noch so geringen Schaden anrichten!



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