Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 93


Borus spricht über das Wesen des Menschen.

01] Sagt der Oberste: »Das werden wir erst sehen; denn vom Standpunkte der irdischen Verhältnisse betrachtet ist die Menschheit noch immer schlechter statt besser geworden! Was sind nun Moses und alle die großen Propheten? Ich sage es euch: In den sogenannten besseren Kreisen lacht man darüber und hält sie zwar für fromme, aber für den Geist der Menschen ganz zwecklose Fabeln und stellt die Lehre eines Pythagoras und eines Aristoteles himmelhoch über alle die Propheten! Ein lebendiger Beweis, daß die Einrichtung Jehovas, so erhaben und wahr sie im Grunde des Grundes auch ist, dennoch den Zweck bei den Menschen durchaus nicht erreicht, den sie nach Seinem Wortlaute erreichen will!

02] Was nützt alle Offenbarung, wenn ihr die handgreiflichen Mittel nicht für immer belassen werden, durch die es allein möglich ist, die Menschen im stets gleichen Respekte vor der göttlichen Offenbarung zu erhalten? Es sollte nur ein Elternpaar versuchen, seine Kinder ohne Rute zu erziehen, und wir würden es nur zu bald erfahren, welchen Respekt die unmündigen Kinder vor ihrer Eltern noch so weisen und guten Lehren haben werden!

03] Darum halte ich auf alle Lehren und selbst Gesetze nichts, wenn sie ohne Rute und Schwert den Menschen überantwortet werden; denn der Mensch ist vom Grunde aus schlecht und muß zum Guten erst mit Ruten gepeitscht werden!«

04] Sagt Borus: »Bin mit dir in dieser Hinsicht ganz einverstanden; aber es gibt dennoch ein großes Aber, das du erst dann wirst kennenlernen, wenn du einmal darüber von Seinem höchsteigenen Munde wirst belehrt werden!

05] Siehe, so wir ein mechanisches Werk vor uns haben, mit dem irgendeine Arbeit verrichtet wird, so werden wir im Anfange staunen; werden wir aber mit dem Werke näher bekannt gemacht, so werden wir gleich eine Menge Mängel entdecken, und es wird uns sofort die förmliche Gier anwandeln, dieses Werk von den sichtlichen Mängeln frei zu machen. Wir verfügen uns darum zum Werkmeister und sagen ihm dies und jenes.

06] Aber der Werkmeister wird zu lächeln und unfehlbar also mit uns zu verkehren anfangen und wird sagen: 'Liebe Freunde, das ginge wohl, - aber es geht dennoch nicht; denn die Maschine richtet sich hier nach vielen sehr beachtenswerten Punkten! Der sie erbauen ließ, hat sie nach seinem Bedarfe bestellt; für diesen Bedarf kann sie nur die beobachtete, bestimmte Einrichtung haben, und da wäre jede Zutat ein offenbares Gebrechen der Maschine selbst! Die Maschine hat nur eine gewisse Kraft zu besiegen nötig und darf darum keine höhere Kraft besitzen, als die ihr für den bestimmten Zweck nötig ist. Würde man ihr eine höhere Kraft zu wirken geben, so würde der Weber mit ihr sein Gefäde mit jedem Schlage zerreißen und auf diese Art nie auch nur eine Elle Zeug zutage fördern. Darum muß die Maschine für den Zweck, dem sie zu entsprechen hat, gerade diese Einrichtung haben, die sie hat, und jedes Mehr oder Weniger ist ein Fehler der Maschine! Ah, wenn die Maschine einmal durch langen Gebrauch abgenutzt sein wird, dann erst ist es an der Zeit, sie wieder in den Stand zu setzen, wie sie anfangs war, damit sie ihrem Zwecke wieder entsprechen kann.'

07] Siehe, so wird der kluge Werkmeister uns bescheiden, und wir beide werden es uns am Ende denn doch selbst sagen müssen: Der Werkmeister hat recht; denn ein jeder Meister muß seine Sache doch offenbar besser verstehen als so ein paar Pseudomeister, wie wir da sind! Und ungefähr eine fast ähnliche Antwort könnten wir in dieser Hinsicht von Jesus dem Herrn bekommen, so wir Ihn fragten, wie es möglich ist, daß die Menschen an der Seite der göttlichen Weisheit dennoch gar so teufelsschlecht werden können!

08] Was wissen wir wohl von des Menschen innerer Einrichtung und Beschaffenheit? Wir mögen oft fluchen, wo der Herr noch vollauf segnet! Denn wir sehen weder das Gute noch das Schlechte vollkommen ein.

09] Jeder noch so gute Mensch hat mehr oder weniger etwas von Selbstsucht in seinem Gemüte. Nach dieser seiner Eigenschaft ist er dann auch stets ein Richter seiner Nebenmenschen und rechnet es ihnen schon allzeit am ersten und liebsten zu einem Fehler an, wenn sie Handlungen begehen, die mit seiner Selbstnutzungsidee nicht im Einklange stehen. Da aber ein jeder Mensch für sich ebenso ein wenig selbstsüchtig denkt, so kommen auf der Erde nichts als lauter schiefe Urteile der Nebenmenschheit gegenüber heraus. Diese Schiefurteile bewirken gegenseitig Unzufriedenheiten, nach und nach Ärger, Neid, Zorn und derlei moralische Löblichkeiten mehr.

10] Wer anders ist hernach schuld an der Verschlimmerung der Menschen als eben die Menschen selbst? Die Lebensmaschine nützt sich denn mit der Zeit auch ab, muß darum von ihrem erhabenen Werkmeister auch von Zeit zu Zeit wieder neu ausgebessert oder dann und wann gar von Grund aus neu gestaltet werden.

11] Und solch eine totale Ausbesserungszeit scheint nun wieder, nach mehr als fast einem Jahrtausend, dazusein. Darauf werden die Menschen zum besseren Teile wieder auf eine Zeitlang halten; aber für länger als höchstens zweitausend Jahre werden die ausgebesserten Menschen abermals nicht halten, und wir werden jenseits scharfsehende Zeugen sein, daß es also gehen wird, wie ich dir's nun gesagt habe!«

12] Sagt der Oberste: »Nun, ich gratuliere dir! Du bist ein würdiger Jünger deines Meisters! Ich sehe es nun schon, daß ich es vorderhand in der wahren Weisheit mit dir nicht aufnehmen kann. Aber ich werde mir alle Mühe geben, es an der Seite meines lieben Freundes Chiwar in Kürze so weit zu bringen, daß ich über dergleichen Dinge mit dir werde Rücksprache führen können; denn mit gegenwärtiger Tempelweisheit in Jerusalem reicht man hier nicht aus, - was eben kein Wunder ist, da die gegenwärtige Tempelweisheit auch nicht weit her ist!«


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