Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 120


Jarahs Träume von der Kreuzigung und Auferstehung Jesu.

01] Sagt die Jarah: »Nun, damit könnte ich schon aufwarten; aber meine Träume sind gewöhnlich recht fürchterlich und zeigen mir die Weltmenschen in ihrer ganzen scheußlichen Gestalt, und ich sehe dann an ihrer Statt lauter Teufel! Und so hatte ich erst unlängst einen Traum! Da sah ich einen herrlichen Menschen, der Dir, o Herr, sehr ähnlich sah. Diesen Menschen sah ich gebunden mit Stricken, wie einen Verbrecher.

02] Ich fragte die ihm folgenden Weinenden, was denn dieser herrliche Mensch möge angestellt haben, daß die Weltmenschen so übel mit ihm verfahren. Und die Weinenden sagten mir, einer wie der andere gleich: >Er war ein mächtiger Wohltäter der Menschheit. Nie beging er eine Ungerechtigkeit, und hellste Wahrheit war der Honigseim seines Mundes. Den welt- und herrschsüchtigen Pharisäern hatte er zu viel Wahrheit gesagt, und sie haben ihn darum zum Tode am Kreuze durch den schwachen römischen Landpfleger verdammen lassen. Sie führen ihn jetzt zur Richtstätte; komm mit uns und schaue mit, mit welchem Lohne der größte Menschenfreund von den schlechten, allerselbstsüchtigsten Menschen belohnet wird!<

03] Und ich ging mit den Weinenden auf einen niederen Berg und sah den ehrlichen Menschen, der von Schlägen und Hieben voll Blut war und am Haupte noch zur Erhöhung der Qual einen Dornenkranz trug, ein schweres Kreuz schleppen. Auf der Richtstätte aber entblößte man ihn, warf ihn darauf unbarmherzigst wie ein wildes Tier aufs Kreuz hin, nahm viele spitzige Nägel und schlug sie ihm mit schweren Hämmern durch Hände und Füße und heftete ihn also auf die allergrausamste Weise auf das harte und schwere Kreuz! - O Herr, das war Dir ein fürchterlicher Anblick! Wenn ich an diesen Traum nur denke, so vergeht mir Hören und Sehen! - Endlich erhob man das Kreuz und setzte es in ein schon fertiges Loch und verkeilte es, daß es feststünde.

04] Das Wunderbarste war dabei aber doch, daß dieser über alle Maßen ehrliche Mensch auch bei aller solcher qualvollster Marter nicht einen Schmerzenslaut von sich stieß, während doch noch zwei andere, die bei weitem nicht so grausam gemartert wurden, ungeheuer schrien und wehklagten!

05] Hier wurde ich wach und zitterte am ganzen Leibe. Herr, so ein Traum ist aber auch kein Scherz für ein so zartfühlendes Mädchenherz, wie das meinige ist! Ich bat darauf gleich den lieben Vater im Himmel, daß Er mir ja keinen gar so schweren und qualvollen Traum mehr zukommen lassen möchte; und siehe, bis zur Stunde hatte ich wirklich keinen so schweren Traum mehr zu bestehen! Mein Vater sagte mir zwar immer, daß die Träume leere Schäume seien und vom schweren Geblüte herrührten. Mag sein! Wenn ich schon ein so schweres Geblüt hätte, so müßte ich sonst ja auch schwerfälliger sein, als ich bin; aber ich bin sonst ja ein flinkes und munteres Mädchen, - wie kann ich da ein schweres und faules Geblüt haben?«

06] Sage Ich, der Ich bei dieser Erzählung etwas düsterer geworden bin: »Nein, nein, du Meine allerliebste Jarah, du hast nur ein ätherleichtes Geblüt; aber es ist dein Traum von großer Bedeutung! - Doch nun nichts weiter mehr davon, die Zeit wird dir darin eine Lehrerin sein; aber selig bist du, die du solches im Traume geschaut hast! Nur wenigen Propheten war es gegönnt, solches in ihren Gesichten wahrzunehmen.

07] Vieles aber ist den Menschen auf dieser Erde verborgen. Das große >Warum< werden sie erst jenseits erfahren! - Aber nun erzähle Mir noch einen Traum, den du in drei Tagen darauf von demselben Menschen geträumt hast!«

08] Sagt die Jarah: »Oh, den erzähle ich auch viel lieber; denn er ist um viele tausend Male heiterer! Da befand ich mich auf einmal noch sehr früh morgens dem Anscheine nach in einem recht artigen Garten, von wo aus ich freilich leider recht wohl erkennend die im früheren Traume besagte Richtstätte sehen konnte. Solcher Anblick erfüllte mich gleich mit großer Angst, daß ich darob im Traume zu beten begann, der liebe Vater im Himmel möchte mich doch mit einer ähnlichen Erscheinung verschonen; denn noch sah ich leider die drei bekannten Kreuze auf der Richtstätte aufrecht stehen.

09] Aber da kam alsbald ein wunderschöner Jüngling zu mir, tröstete und stärkte mich mit den Worten, die ich mir gar wohl gemerkt habe: >Fürchte dich nicht, du zarte, reine Seele! Das, was du vor drei Tagen gesehen, mußte also geschehen nach dem Ratschlusse Gottes, ansonst nie ein Mensch hätte selig werden und zur Anschauung Gottes gelangen können. Das, was gekreuziget ward, war Gottes Sohn, und Gott war in Ihm. Nun aber nach drei Tagen wird dieser Gottessohn aus höchst eigener Macht wieder vom Tode Seines göttlichen Fleisches auferstehen und wird herrschen fortan über die ganze Unendlichkeit, und Seines Reiches und Seiner Herrschaft wird ewig nimmer ein Ende sein; und vor Seinem Namen werden sich beugen alle Mächte und Kräfte, und die sich nicht werden beugen wollen, die wird Er verderben lassen. Aber der letzte, seligste Augenblick naht, darum habe acht auf den schweren versiegelten Grabstein!<

10] Als der Jüngling solches zu mir geredet hatte, siehe, da hob sich der schwere Grabstein aus freien Stücken selbst vom Grabe, und aus demselben stieg heiteren, aber dabei dennoch überaus würdevollen Antlitzes auf ein Haar derselbe Mann, den ich vor drei Tagen habe so schrecklich kreuzigen sehen. Ich sah sogar die Wundmale an Händen und Füßen, und ich zweifelte nicht einen Augenblick, daß er es war.

11] Und der Mann trat zu mir hin und sagte mit einer unendlich wohlklingenden Stimme: >Das, was du hier im Traume gesehen, war nur ein scheinend Vorbild von dem, was jüngst in der Wirklichkeit geschehen wird; Mich aber wirst du zuvor noch in der Wirklichkeit sehen, und nach Meiner Auferstehung zu öfteren Malen!< - Nach diesen Worten ward ich wieder wach und habe viel darüber nachgedacht. Aber bis auf Dich so ungefähr wollte mir in der Wirklichkeit noch kein Mann (jenem ähnlich) vorkommen!«

12] Sage Ich: »Nun, vielleicht bin Ich es? - Aber nun nichts Weiteres mehr davon, und darum nun von etwas anderem für den morgigen Tag!«


Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 2   |   Werke Lorbers