Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 144


Lobrede der Jarah. Jesus über Gottes- und Nächstenliebe.

01] Auf dieses laute Singen erwachten auch alle die andern noch Schlafenden und stimmten gleich beim Erwachen mit den Jüngern ein, und Ich ließ allen Luft machen für ihre Herzen, und die Jarah umklammerte Meine Füße und weinte vor übergroßer Freude und Seligkeit! Als sie bei einer halben Stunde zu Meinen Füßen vor Seligkeit geweint und die Jünger ihren Morgengruß beendet hatten, da richtete sich die Kleine auf und sagte mit einer bedeutungsvollen Stimme: »O Erde, wann, wann wirst du wieder so glücklich sein, von diesen Füßen betreten zu werden? Fühlst du, stumme Mutter der Laster, wohl, wer Der ist, der dich nun betritt? Nein, nein, du fühlst es nicht, du kannst es nicht fühlen; denn du bist zu tot und zu klein! Wie solltest da das fassen, was für den unendlichen Raum und für alle die zahllosen Myriaden Wesen in ihm zu undenkbar groß und heilig ist!? Wo soll ich anfangen und wo enden, um Seine Herrlichkeit nur in einem Tautropfen zu besingen? Denn Er, Gott der Ewige, ist es ja, der den Tautropfen so gut wie jene endlos großen Lichtwelten schuf! O Herr, o mein Gott, vernichte mich doch; denn nimmer erträgt mein Herz die zu glühende Liebe zu Dir!

02] Als ich Deine Herrlichkeit noch nicht kannte, da liebte ich Dich wie einen vollkommensten Menschen. Ich ahnte in Dir wohl den reingöttlichen Geist, und mein Herz liebte diesen heiligsten Geist in Dir unaussprechlich; aber dennoch dachte ich mir Dich als einen Sohn des Allerhöchsten! Aber nun hat alles eine andere Gestaltung angenommen! Du bist der Allerhöchste Selbst! Außer Dir gibt es keinen mehr! Vergib daher mir kleinstem Würmchen des Staubes, das da in seiner angestammten Blindheit gewagt hatte, Dich zu lieben wie einen Menschen!«

03] Sage Ich: »Mein Kindchen, da gibt es nichts zu vergeben; bleibe du bei dieser Liebe! Denn Ich sage es nun euch allen: Wer Mich nicht liebt, wie du, Meine allerliebste Jarah, Mich geliebt hast und noch liebst, dessen Liebe wird von Mir als gar keine angesehen!

04] Wer Gott nicht liebt als den vollkommensten Menschen, der kann um desto weniger seinen Nächsten lieben, der ein noch höchst unvollkommener Mensch ist! So es aber geschrieben steht, daß Gott den Menschen nach Seinem Ebenmaße geschaffen hat, was sollte dann Gott anderes sein - so der Mensch Sein Ebenmaß ist - als eben auch ein, aber ganz natürlich vollkommenster Mensch!? Oder sehe Ich nun anders aus denn ein Mensch, weil du, Mein Kindchen, von Meiner Herrlichkeit ein paar kleinste Tröpfchen gesehen hast?«

05] Sagt die Jarah: »O nein, Du siehst noch immer gleich aus, und in meinem Herzen ist es auch nicht anders geworden! Ja, ich möchte Dich schon lieber ganz im Herzen haben vor lauter Liebesdrang! Ich möchte Dich so kräftig umarmen, daß mir die Adern zerreißen könnten, und Dich dann nimmer auslassen; ja, ich möchte Dein Angesicht mit zahllosen Küssen bedecken und gar nimmer aufhören, Dich zu küssen! Kurz, ich weiß gar nicht auszusprechen, was ich aus purer Liebe zu Dir alles tun möchte! Aber Du bist nun das allerheiligste, allerhöchste Gottwesen, und ich denke mir denn also in meinem Herzen, daß ich viel zu unwürdig bin, Dich also zu lieben, als wärest Du ein Mensch; aber ich kann mir nun schon denken, was ich kann und mag, so nimmt mein Herz darauf dennoch keine Rücksicht und liebt Dich nur noch heftiger denn zuvor!«

06] Sage Ich: »Das ist schon recht also! Es folge deine Seele nur allzeit dem lautern Zuge des Herzens und fache darin eine rechte helle Flamme an, so wird es in der ganzen Seele bald helle werden und der Geist Gottes wird in ihr aufgehen wie eine Sonne, und in seinem Lichte und in seiner Lebenswärme wird erst die Saat Gottes aufgehen und die Seele versehen mit den

Früchten des Lebens für die Ewigkeit!

07] Aber es kann der Geist Gottes im Menschen nicht geweckt werden anders denn durch die Liebe zu Gott, und aus solcher Liebe heraus in der Liebe zum Nächsten.

08] Darum bleibe du nur gleichfort in deiner Liebe; denn diese ist mehr wert für Mich und dich als alle Herrlichkeiten, die du mit deinen Augen geschaut hast!

09] Aber nun wollen wir die andern auch vernehmen und uns erzählen lassen, was diese Nacht auf sie für einen Eindruck gemacht hat.«


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