Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 77


Wie Gott Sich erkennen läßt.

01] Sagt Suetal: ”Ja, ja, da ginge die Sache schon ganz gut überorts zusammen! Nur mit dem Ausdrucke 'jüngster' hätte es noch einen starken Haken; denn so ein halbe Ewigkeiten durchlebt habender Engel könnte doch gegenüber den Menschen dieser Erde unmöglich ein jüngster Jünger sein!? So ein Engel war sicher schon lange eher mit der himmlischen Magie vertraut, bevor noch eine Sonne am Firmamente leuchtete?! - Was meinst du in dieser Hinsicht?“

02] Sagt Ribar: ”Das ist freilich ein bedeutender Haken, an dem auch ich hängenbleiben kann; aber dennoch fällt mir nun etwas ein: Sieh, das kann der Meister bloß dahin gedeutet haben, dass er uns den Jungen, bloß für diese (Zeit) Bezug habend, als den jüngsten seiner Jünger vorgeführt hat aus dem Grunde, weil dieser Junge vielleicht erst etliche Tage, mit irdischer Hülle bekleidet, sich in der Gesellschaft der Menschen befindet!“

03] Sagt Suetal: ”Ja, wenn das möglich wäre, dann hättest du freilich wieder recht; aber weißt, so etwas anzunehmen ist denn doch ein wenig gewagt! Entweder das oder Moses; denn beide können bei solchen Umständen nicht nebeneinander bestehen!“

04] Sagt Ribar: ”Das sehe ich nicht ein! Konnte doch ein Engel, wie man sich noch heute von Mund zu Mund erzählt, sieben Jahre lang ein Führer des Tobias sein; warum sollte dieser nicht etliche Tage auf der Erde aushalten können?! Diese Erde ist ja doch ebensogut ein Werk Gottes, als er selbst es ist!“

05] Sagt Suetal: ”Ja ja, wenn du da in der Wahrheit stehst und Mathael auch unbestreitbar recht hat, dann kann, irdisch genommen, dieser Junge wohl allerdings des ewig großen Meisters jüngster Jünger sein! Die Gestalt und seine Taten bekunden offenbar ein höheres Wesen aus den Himmeln; so aber dieses Wesen selbst von sich aussagt, dass es ein jüngster Jünger des großen Meisters aus Nazareth sei, so muß dieser Meister seinem Geiste nach doch offenbar ein Herr über alle Himmel sein. Ist aber das, dann entsteht für uns die große Frage, was wir dergestalt im Angesichte des leibhaftig Allerhöchsten und Allmächtigsten tun können und tun werden! Denn das wäre wahrlich keine Kleinigkeit!“

06] Sagt Ribar: ”Allerdings; aber könnten wir es anders machen, wenn es, wie es mir nun stets mehr zweifelsohne zu sein scheint, also wäre? Siehe, die Gottheit ist frei und tut, was Sie will, und die Sterblichen können Ihr keine Schranken setzen! Wäre Sie als ein Richter zu uns gekommen, da wären wir sicher sehr arg daran; aber Sie kam als ein sanftester Wohltäter zu uns Sterblichen, um uns sicher aus der alten schon vom Vater Henoch gepredigten Liebe näher an Sich zu ziehen, und unter solchem Umstande ist Sie nicht fürchterlich. Aber wie es mir so vorkommt, so gibt Sie Sich nur der Liebe allein in Ihrer Echtheit zu erkennen, weil die Liebe sicher das einzige Motiv Ihrer Hierherkunft war. Aber mit dem Verstande und mit aller unserer hochgepriesenen Vernunft läßt Sie Sich durchaus nicht erkennen.

07] Und sieh, es wird mir jetzt so manches heller! Der vermeintliche Grieche kam ehedem gar so liebfreundlich zu uns und fragte uns noch obendrauf, ob wir mit dem großen Meister aus Nazareth nicht Bekanntschaft machen wollten; wir aber sprachen uns aus einer Art Furcht entschieden dagegen aus und kamen ihm mit allerlei nichtigen Vernunftgründen entgegen. Wir fürchteten den Meister, weil der Jünger es uns schon gezeigt hatte, wie verdammt seicht unsere Vernunftgründe waren.

08] Bis jetzt kalkulierten wir noch immer mit der Vernunft und haben noch sehr wenig herausgebracht; und die ziemlich starke Mutmaßung, die nun in unserem Gemüte lauter und lauter zu werden beginnt, haben wir rein dem Rippler zu verdanken, den uns der weise Junge, da ihm offenbar die Geduld etwas zu kurz werden mochte, versetzt hat. Denn, wie ich es nun so ziemlich klar zu merken beginne, hatte er uns vor der langen Rede des Meisters doch so ziemlich dick auf den Mund gestrichen, dass eben jener Grieche der Meister sein müsse und kein anderer! Aber unsere echte Schweinevernunft hatte da stets noch eine Dreidecke vor die Augen unserer Seele gezogen, und wir sahen somit stets den Wald vor lauter Bäumen nicht.

09] Jetzt, wo wir wegen des starken Ripplers einige Vorliebe zu dem Griechen faßten, scheinen uns ein paar Decken von den Augen unserer Seele genommen worden zu sein, und wir fangen jetzt darum auch an, lichte Mutmaßungen zu schöpfen. Und ich bin nun der Meinung, dass wir unsere Vernunft rein über Bord ins Meer werfen und dafür rein dem Gefühle unserer Herzen folgen sollen, so werden wir dadurch sicher eher an einem Ziele sein als durch unsere Vernunft, die dem Menschen nur darum verliehen ward, als man zum Kochen einer Speise einen Kochlöffel dem Speisekochtopfe verleihet, nämlich zum Herumrühren der Speisen. Sind die Speisen im Topfe aber einmal gekocht, so ist der Rührlöffel für weiterhin entbehrlich! - Was ist darüber nun deine und euer aller Meinung?“

10] Sagt, große Augen machend, Suetal: ”Freund, ich sehe schon, dass du für den Griechen stets mehr und mehr eingenommen bist. Solches ist zwar auch bei mir der Fall, und ich teile darin ganz deine Meinung; aber mit der Verwerfung der Vernunft bin ich vorderhand noch nicht einverstanden. Denn legen wir diese eines in uns aufsprudelnden Gefühles wegen beiseite, was haben wir dann noch vor den Tieren des Waldes, die ohne Vernunft sind und darum ihrem Gefühlsinstinkt folgen müssen, voraus?

11] Siehe, der Mensch wird gar oft von allerlei Gefühlen übermannt; würde er da, ohne seine reinere Vernunft zu Rate zu ziehen, gleich unbedingt seinen Gefühlen folgen, wohin käme er dabei! Darum ist es meiner Einsicht nach nur vor allem nötig, die Vernunft soviel als möglich zu reinigen. Denn nur durch die geläuterte Vernunft geleitet, können uns unsere besseren Gefühle zum wahrhaftigen Segen werden.

12] Die Gefühle im Menschen sind gleich einem vielarmigen Polypen im Meere, der seine vielen Arme stets nach dem Fraße ausstreckt; aber es ist in diesem Tiere sonst durchaus keine andere Intelligenz wahrzunehmen.

13] Wenn nun der Mensch seine Vernunft beiseitelegte, so gliche er offenbar einem solchen Tiere; denn der bloße rohe Gefühlsmensch ist fraß- und genußsüchtiger denn jedes andere Tier. Nur die gebildete und gereinigte Vernunft regelt und ordnet des Menschen Gefühle, scheidet die schlechten aus, behält dann nur die guten und reinen und macht sogestaltig aus dem Schweinmenschen einen wahren Menschen.

14] Darum mußt du die göttliche Vernunft ja nicht über Bord werfen wollen; denn ohne die Vernunft beherrscht uns ein jeder Esel und ein jeder Ochse!“

15] Die zehn andern geben hier dem Suetal vollkommen recht und sind alle seiner Ansicht; aber Ribar zuckt da bedenklich mit seinen Achseln, und der Suetal sagt: ”Na, da kannst du doch fürwahr nichts zum Gegensatze haben?! Denn da steht mein Ausspruch vor Gott und aller Welt so fest wie der Berg Sinai, auf dem Moses die Gesetze für ein mit Vernunft mächtig begabtes Volk erhielt!“



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