Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 96


Helenas Erwägungen über die Weisheit der Menschen.

01] Sagt Ouran: ”Weißt du, liebster Freund, (gefallen hat mir das) alles sehr und überaus gut, und es muß mit uns Menschen also sein und geschehen; und wäre es nicht also, und müßte es anders geschehen, so wärest du nicht zu deiner Weisheit gekommen!

02] Du bist sicher auch zuvor sehr in der finstern Unterwelt deines Fleisches erzogen worden, bist dann auch in deiner Seele für dein Fleisch abgestorben und bist nun in den Lichtpalast deines Geistes und in dessen wahrhaft elysäische Gärten lustwandeln gegangen. Bei dir sind die früher einzelnen Tröpflein zu einem Meere geworden; aber bei mir ist das sicher noch lange nicht zu gewärtigen. Und ich verstehe daher den Sinn jeder deiner einzelnen Reden, aber der große Zusammenhang wird mir auch erst dann werden, wenn meine Seele die finsteren Katakomben des Fleisches verlassen wird und wird eingeführt werden in den Lichtpalast ihres Geistes und in dessen Gärten, dessen ambrosisch duftende Früchte im Lichte und in der Wärme der ewigen Lebenssonne reifen.

03] Sieh, eine gewisse süße Ahnung fange ich wohl an in mir zu fühlen, wie es sein kann und sicher auch werden wird; aber für das liebe Wann gibt es da keine bestimmte Frist, und man hat auch nicht einmal ein Wahrzeichen in sich, durch das man erführe nur etliche Tage vorher, wann die arme Seele aus den finsteren Katakomben geführt wird!

04] Aber was kann da ein Mensch machen? Nichts, als sich in aller Geduld dem Willen jenes allmächtigen Führers ergeben, der auch deine Seele, ohne es deinem Fleische vorher angezeigt zu haben, aufgeweckt hat im Lichtpalaste deines mächtigen Geistes.

05] Aber jetzt möchte ich auch von meiner Helena vernehmen, wie etwa ihr dein Bild gefallen, und was sie alles darüber in sich für Reflexionen (Erwägungen) gemacht hat!“

06] Sagt gleich die Helena: ”Oh, die besten von der Welt! Das Bild war herrlich und sehr treffend, und wenn die alten Ägypter solche Erziehungsanstalten hatten, da waren sie sicher keine dummen Leute, wie ihnen in dieser Hinsicht ihre großartigsten Werke ein sehr sprechendes Zeugnis geben. Aber nur wäre es sehr zu wünschen gewesen, dass sie dergleichen weise Schulen weiter fürs ganze Volk ausgedehnt hätten; denn ich kann es mir nicht einbilden, dass es im Plane des großen, weisesten Schöpfers liegen kann, dass ein Teil der Menschheit, und zwar der größte, zeitlebens dumm und total blind bleiben solle. Aber es ist in der Welt einmal also, auf einen Weisen kommen stets mehr als zehntausend Dumme und Blinde; es ist allenthalben also. Warum es aber also sein muß, das ist natürlich eine andere und sicher sehr schwer zu beantwortende Frage.

07] Wir sind unser nun in allem sicher bei vierhundert Menschen auf diesem breitköpfigen Hügel versammelt, aber es werden darunter kaum fünfzig recht Weise sein; alle andern dürften mehr oder weniger kaum Jünger der Weisheit sein! Die römischen Soldaten und des Oberstatthalters zahlreiche Dienerschaft werden nicht einmal zu der selbst allerletzten Jüngerschaft zu zählen sein!

08] Von hier aus sieht man recht gut bis zur nahen Stadt hin, und das Auge entdeckt Massen von Menschen, die nach der stets auf einem und demselben Flecke weilenden und prachtvollst leuchtenden Scheinsonne hinstarren und sicher nicht wissen, was sie aus solch einer Erscheinung machen sollen. Unter diesen Massen von Menschen ist sicher nicht ein Weiser, obschon sich vielleicht so mancher unter ihnen einbildet, es zu sein, was eigentlich schlechter ist, als so er sich in der rechten Demut seines Herzens einbildete, dass er unter allen seinen Gefährten der Allerdümmste sei. Wie muß solchen Menschen solch eine ungewöhnliche Erscheinung vorkommen!? Wie werden die sich nun kreuz und quer durchfragen und sagen: 'Was ist das?! Was bedeutet das?! Was wird das für Folgen haben?!'

09] Wer aber wird ihnen auf alle diese Fragen antworten? Dumm und blind kamen sie heraus aus ihren Häusern, und noch dümmer und blinder werden sie in dieselben zurückkehren! Muß das also sein, müssen jene Massen denn im Ernste dumm und blind verbleiben?!

10] Die hier anwesenden Menschen, wenn auch gerade keine Jünger, haben wenigstens eine Wissenschaft (das Wissen), dass dies nicht die wirkliche, sondern nur eine durch die ihnen schon bekannte Macht des großen Meisters hervorgerufene Scheinsonne ist, und machen zu solch einer Erscheinung, wie Figura (der Augenschein) zeigt, ganz fröhliche und heitere Gesichter. Sie verstehen die Erscheinung zwar auch sowenig wie ich; aber sie wissen, dass sie eine Folge der wunderbaren Willensmacht des ihnen bekannten großen Meisters ist. Und wenn Er diese große Leuchte etwa nach einer Stunde auslöschen wird, so wird sich da niemand etwas daraus machen; denn es wird ein jeder wissen, wer diese Leuchte ausgelöscht hat.

.ev03.096.11] Aber wenn die andern Menschen, die von hier nichts wissen, diese Sonne etwa nach einer Stunde werden plötzlich erlöschen sehen auf dem Flecke, wo sie nun steht, da wird sie großer Schrecken, Furcht und eine verzweifelnde Angst ergreifen, und alle werden ganz bestimmt des Glaubens werden, dass sich die Götter im höchsten Grade erzürnt haben und die Erde auf das Furchtbarste heimsuchen werden!

12] Es wäre demnach sogar nötig zur Beruhigung der Menschen, dass von hier Boten ausgesendet würden, die den aufgeregten Gemütern in aller Kürze verkündigten, was da geschehen werde, und dass dies nur eine Scheinsonne ist. - Was meinst denn du, guter, lieber Freund?“



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