Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 15


Die rätselhafte römische Vollmacht des Herodes.

01] Sagt Cyrenius: ”Was ihr wünschet, das soll euch geschehen; denn ich bin mit deiner Beschreibung des Herodes ganz zufrieden und weiß nun, was ich mit ihm zu tun haben werde. Aber sage mir nun noch, ob es sich mit seiner Fürstenvollmacht wohl also verhält, wie du sie ehedem mir beschrieben! Hast du dahinter wohl nicht meinen Namen unterzeichnet gesehen? Oder hast du irgend die Gelegenheit gehabt oder gefunden, jene Urkunde einsehen zu können? Sei wahrhaft und gib mir das ganz genau kund!“

02] Sagt Zinka: ”Nichts leichter als das, weil ich, des Schreibens wohl kundig und der drei Sprachen mächtig, dieselbe Urkunde schon vielleicht bei fünfzig Male abgeschrieben habe, welche Herodes als dem Originale gleichlautend stets beim Landpfleger vidieren (bescheinigen) ließ um zehn Silbergroschen! Deinen Namen sah ich nicht, wohl aber den des jetzt herrschenden Kaisers. Mehr kann ich dir darüber nicht sagen.“

03] Sagt Cyrenius: ”Das ist dann offenbar eine neue Vollmacht, die ganz anders lautet als jene, in der ich selbst unterschrieben bin! Könntest du mir etwa auch noch hinzu sagen, um welche Zeit Herodes zu der berüchtigten Vollmacht aus Rom gelangt ist?“

04] Sagt Zinka: ”Oh, nichts leichter als das! Diese Vollmacht bekam er schon im Vorjahre, was ich um so genauer weiß, weil ich das Ansuchen darum selbst geschrieben habe. Es ist im Gesuche zwar wohl der Punkt gestanden, dass der Kaiser als ein vollkommener Alleinherr und Herrscher, alle untergeordneten Stellen übergehend, ihm ad personam (für seine Person) zu seiner nötigen Deckung eine Vollmacht in der Art und Weise erteilen möchte, wie sie unter der Anmerkung im Gesuche stilisiert sei. Nun aber kommt eigentlich die Hauptsache, hinter der - so bloß nach meiner Ansicht - die Großlumperei steckt!

05] dass Herodes ein solches Ansuchen nach Rom gestellt hat, dafür bürge ich als Zeuge um so glaubwürdiger, weil ich, wie gesagt, das Gesuch selbst stilisiert und geschrieben habe. Das außerordentliche Gesuch aber ging - wie es sich leicht von selbst versteht - nicht ohne schwere Begleitung von viel Gold und Silber nach Rom. Die Überbringer waren fünf der ersten Pharisäer, die in ihren höchst eigenen Angelegenheiten um jene Zeit eine Reise nach Rom unternahmen. Diese kamen etliche Tage vor ihrer Abreise zum Herodes und baten ihn, ob er aus Rom nichts zu bestellen hätte.

06] Sie kamen dem Herodes wie gerufen; denn er brütete schon bei vier Wochen lang, wie und durch wen er am sichersten und am geheimsten das außerordentliche Gesuch nach Rom bringen könnte. Diese Gelegenheit kam ihm deshalb um so erwünschter, weil er mit den fünf gescheitesten Pharisäern recht wohlan war und er sie auch für die Ehrlichsten ihres Gelichters hielt. Als er sie um den Botenlohn fragte, der sonst von Jerusalem aus nicht leichtlich unter zweihundert Pfunden unternommen wird, verlangten sie nichts; denn was sie dem Herodes, der ihnen auch schon viele und gewichtige Freundschaftsdienste erwiesen habe, täten, das täten sie auch nur aus purer Freundschaft!

07] Damit war Herodes mehr als vollkommenst zufrieden und übergab den fünfen das Gesuch samt der schweren Ladung, an der dreißig Kamele hinreichend zu tragen hatten. Sogestaltig wanderte das außerordentliche Gesuch dem Wortlaute zufolge nach Rom, der sicheren Wahrheit nach aber irgendwoandershin, was unsereiner nicht wissen kann!

08] Eine Reise von hier bis nach Rom dauert bei günstigsten Witterungsverhältnissen drei volle Wochen, sonst auch einen Monat; etliche Tage, oft Wochen, bleibt man in Rom, und es hat seine Zeit, bis jemand vor den Kaiser kommt. So ein Gesuch erledigt der Kaiser im günstigsten Falle vor einem halben Jahre nicht, weil er tausend wichtigere Regierungssachen vor sich hat. Nun kommt es auf die Rückreise, die doch auch soviel Zeit wie die Hinreise braucht! Genau aus vieler Erfahrung berechnet ist von Rom meines Wissens noch nichts vor dreiviertel Jahren zurückgekommen.

09] Die fünf Boten aber haben die angesuchte Vollmacht, genau nach der Anmerkung im von mir geschriebenen Gesuche, ganz auf schönem Pergamente geschrieben und mit allen bekannten kaiserlichen Zeichen ausgestattet und versehen dem Herodes vor der Zeitdauer von sechs Wochen überbracht und haben dem Herodes dazu mit allem Pompe gratuliert; ich aber dachte mir mein Teil dabei und setze noch heute meinen Kopf zum Pfande, dass die fünf Boten bei der in der Rede stehenden Gelegenheit ebensowenig in Rom waren als ich!

10] Die Kerls haben die schwere Mitgabe samt den dreißig gesunden Kamelen gut verwahrt, haben des Kaisers Unterschrift und die andern Zeichen nachgemacht und so dem Herodes eine geheime kaiserliche Vollmacht überbracht, von der er selbst sicher so wenig weiß wie du, hoher Herr und Gebieter! Weißt du, hoher Herr, es ist dies nur so meine Ansicht; es kann auch möglich sein, dass die Vollmacht doch noch vom Kaiser herrührt! Vielleicht haben die Schiffe einen guten Wind gehabt einmal hin und einmal zurück, da ginge es wenigstens mit der Hin- und Herreise so ziemlich aus, und zufälligerweise können sie den Kaiser in einer gutgelaunten und geschäftslosen Stunde sogleich bei ihrer Ankunft in Rom angetroffen haben. Der hat sie sogleich vorkommen lassen und ihnen die gewünschte Vollmacht erteilt, worauf sie dann gleich wieder ein hierher nach Asien steuerndes Schiff antrafen, bestiegen und mit dem besten Winde die Küste Judäas erreichten! Kurz, ich will da durchaus kein Richter sein! Es ist das alles nur so meine Mutmaßung und Berechnung.“



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