Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 20


Zinkas Staunen über das Tischwunder.

01] Hier steht Zinka, der ein sehr großer Mensch war, auf und sieht sich nach allen Tischen um, die natürlich durchgehends mit Schüsseln voll der bestzubereiteten Fische besetzt sind, und mit Brotlaiben und mit sehr vielen Bechern und Krügen des besten Weines; und er bemerkt auch, dass alle Gäste bereits wacker zugreifen, ohne dass da an den vielen Tischen ein Wenigerwerden der Speisen bemerkbar würde. Kurz, unser Zinka wird, je länger er seine Betrachtungen anstellt, desto verblüffter, so dass es ihm am Ende schon ordentlich zu schwindeln anfängt. Nur ein ziemlicher Hunger und der gute Geruch der Speise nötigen ihn, sich zu setzen und auch zu essen anzufangen.

02] Ebahl legt ihm den besten und größten Fisch vor und bezeichnet ihn als eine der edelsten Gattungen des Sees von Tiberias: denn also hieß des Galiläischen Meeres große Bucht in der ziemlich weiten Umgegend von Cäsarea Philippi. Zinka ißt den Fisch mit stets größerem Eifer, da er ihm überaus wohl schmeckt, schont dabei das honigsüß schmeckende Brot nicht und begrüßt auch fleißig den vollen Becher, der aber darum nicht um ein bedeutendes leerer werden will, wie er auch mit dem Fische nicht fertig werden kann, obschon er sich dabei recht wacker tummelt.

03] Wie es aber ihm ergeht, so ergeht es auch seinen Gefährten. Sie möchten alle recht heiter und munter und sehr gesprächig werden, aber die stets wachsende Verwunderung über die seltenen Erscheinungen bei diesem Gastmahle läßt ihnen keine Zeit dazu; denn es sind das für sie Erscheinungen, von denen sie früher noch nie etwas erlebt haben. Also sind sie auch schon satt, wie sich's gehört, - aber dennoch reizt sie der Wohlgeschmack der Fische, des Brotes und des Weines zu stets neuem Genusse; auch das begreifen sie nicht, wie solches komme.

04] Zinka fragt endlich den Cyrenius und nötigt ihn, es zu sagen, wie sich alles das verhalte.

05] Cyrenius aber antwortet, sagend: ”Wenn die Mahlzeit vorüber sein wird, dann wird es auch an der Zeit sein, über so manches zu reden; für jetzt aber iß und trinke du nur nach Herzenslust!“

06] Sagt Zinka: ”Freund und mein hoher Herr und Gebieter! Ich war in meinem ganzen Leben kein Schlemmer; so ich aber noch lange um dich sein werde, da werde ich sicher einer! Ich begreife nur nicht, wo ich hinesse und -trinke!? Ich bin satt und mein Durst ist gestillt, und dennoch kann ich nun noch in einem fort essen und trinken! Und der Wein ist besser und geistiger denn jeder, den ich je irgend zu trinken bekommen habe; aber es nützt das nichts, ich bekomme dennoch keinen Rausch!

07] Ich bleibe einmal dabei, dass es hier nicht mit natürlichen Dingen zugeht! In dieser großen Gesellschaft muß ein großer Magier stecken und tut hier damit ein Zeichen seiner unbegreiflichen Wunderkraft! Oder wir befinden uns etwa gar in der Nähe jenes großen Propheten, den ich mit meinen neunundzwanzig Gefährten gesucht habe!? Wenn das der Fall wäre, dann müßte ich dich, hoher Freund und Gebieter, wohl alleruntertänigst bitten, uns dreißig von dannen ziehen zu lassen, wohin du uns immerhin haben wolltest, oder du müßtest uns wieder binden lassen; denn käme uns der Prophet geradeso in den Wurf, so müßten wir, des dem Herodes geleisteten schweren Eides wegen, unsere Hände an ihn legen. Es würde uns das zwar nichts nützen, und dennoch müßten wir das des Eides wegen wagen zu unserem Verderben!“

08] Sagt Cyrenius: ”Was, - woher dieses?! Wo und in welchem Gesetze steht es denn geschrieben, dass ein schlechter, gezwungener und verdammlicher Eid gehalten werden soll?! Dein Eid hebt sich nun aber auch schon dadurch von selbst auf, dass du mein Gefangener bist samt deinen neunundzwanzig Gefährten! Von nun an heißt's ja doch das tun, was ich und meine mir untergebenen Feldherrn dir gebieten werden, und ewig nimmer, was euch euer dummer Herodes geboten hat! Eures schlechten Eides seid ihr enthoben für alle Zeiten und für ewig!

09] Käme da nun der große Prophet auch von irgendwoher in unsere Mitte, so dürfte es aus euch ja niemand wagen, ihn mit einem Finger anzutasten; wer es aber seines dummen Eides wegen dennoch täte, dem soll alle Schwere des römischen Ernstes zuteil werden!

10] Mein Freund Zinka, ich hielt dich ehedem laut deiner wahrlich geistreichen Äußerungen für einen recht weisen Menschen; durch diese letzte Enthüllung deines Verstandes aber hast du bei mir sehr viel verloren! War denn das Frühere alles nur eine Verstellung von dir?“

11] Sagt Zinka: ”Nein, nein, durchaus nein, du hoher Herr und Gebieter! Ich und wir alle denken und wollen nun gerade also, wie wir früher gedacht, gewollt und geredet haben; aber du mußt es ja doch einsehen, dass man bei derlei Erscheinungen, wie sie hier vorgekommen sind und noch immer vorkommen, als ein Mensch von doch einiger Gewecktheit Großaugen zu machen anfangen und am Ende in seinem ganzen Denken, Wollen, Reden und Handeln ein wenig verlegen und verwirrt werden muß!

12] Hätte ich je so etwas gesehen, so würde auch ich hier mich sicher so ruhig wie ihr alle verhalten haben; aber mein weiser Nachbar sagte zuvor kaum, dass das Mittagsmahl kommen werde, und siehe, in ein paar Augenblicken darauf bogen sich schon alle Tische von der Last der auf sie gestellten Speisen und Getränke! Es kann schon irgendeine künstliche Vorrichtung bestehen, mit deren Hilfe so eine Arbeit etwas schneller als gewöhnlich verrichtet werden kann; aber so schnell!? Da dürfte wohl keine mechanische Vorrichtung ausreichen! Kurz, sage mir da einer, was er will, und ich bleibe dabei und sage: Das war entweder eine außerordentliche Zauberei oder ein vollkommenes Wunder!

13] Du, hoher Freund und Herr, hast leicht ruhig sein, weil du sicher den Grund davon kennst; aber bei uns ist das eine ganz andere Sache! Da sieh nur den Fisch an, den ich nun noch verspeise! Ich habe davon schon über und über gegessen, und noch ist die bei weitem größere Hälfte übrig! Ich bin vollkommen satt und kann doch gleichfort essen! Hier mein Becher, aus dem ich doch schon mehr denn ein volles Maß (sieben Seidel) mag getrunken haben, und sieh her, - kaum drei Finger steht der Wein unter dem Rande! Ja, das kann man denn doch nicht als ein denkender Mensch so ganz gleichgültig hinnehmen, als wäre daran sozusagen gar nichts! Ich bin hier dein Gefangener und kann von dir keine Aufklärung dieser wunderbaren Erscheinung fordern; aber bitten kann und darf ich ja doch wohl? Ich bat euch aber darum, und ihr beschiedet mich aufs Warten!

14] Das Warten wäre schon recht, so in mir statt einer wißbegierigen Seele ein toter Stein seine Trägheit pflegete; aber meine Seele ist kein Stein, sondern ein stets nach Licht dürstender Geist. Seinen Durst löscht kein kühler Labetrunk, sondern ein erklärend Wort, das aus dem Munde eines schon getränkten Geistes kommt. Ihr habt dieses ätherischen Getränkes in Hülle und Fülle und seid getränkt bis über den Hals; aber mir, dem Fleißdurstigen, wollt ihr von eurem Überflusse auch nicht einen Tropfen auf meine glühende Zunge träufeln lassen! Seht, das aber ist es eben, was mich nun am meisten bekümmert und am meisten meine Sinne verwirrt macht! Wenn ich unter solchen Umständen so ein wenig konfus werde, - kann das, hoher Freund, dich wohl wundernehmen?

15] Aber nun nichts mehr von alldem! Ich werde darob in mir selbst nun schon ganz ordentlich voll Ärgers und lasse diese ganze Wunderbarkeit einen guten Mann sein! Der Mensch soll nicht alles wissen und braucht auch nicht alles zu wissen! Zur nötigen Erwerbung des täglichen Brotes braucht der Mensch gar nicht viel zu lernen, zu erfahren und zu wissen. Ein rechter Narr, der darüber hinausstrebt! Darum nun nur gegessen und getrunken, solange etwas da ist! Darf ich nichts wissen, so will ich lieber nichts wissen! Denn was man selbst will, erträgt man leicht; nur des Fremden Wille ist für jede ehrliche Seele schwer zu verdauen. Von nun an könnt ihr alle darin ganz unbesorgt sein, von mir je wieder mit irgendeiner Frage belästigt zu werden!“

16] Mit diesen Worten verstummte Zinka, aß seinen Fisch ganz ruhig fort und nahm dazu öfters Brot und Wein; auch seine Gefährten taten dasselbe und kümmerten sich wenig um das, was um sie herum geschah, oder was da irgend gesprochen wurde.



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