Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 59


Zorels materialistischer Glaube.

01] Zinka legte dem Zorel nun die Hände entgegengesetzt auf, und dieser schlug alsbald die Augen auf und wurde wach. Als Zorel vollends wach geworden war, winkte Ich dem alten Gastwirte Markus, ihm den etwas gewässerten Wein zu verabreichen, da ihn der Durst sehr plagte. Markus tat solches sogleich, und der sehr durstige Zorel leerte einen ganz tüchtigen Becher mit einem Zuge und bat um noch einen Becher voll, da es ihn noch dürste. Markus fragte Mich, ob er so etwas wohl tun solle. Und Ich bejahte solche Frage, nur mit dem hinzugesetzten Bemerken, das zweitemal mehr Wasser als Wein zu geben. Und Markus tat solches, und es bekam dies dem Zorel wohl. Als er sich aber also gestärkt hatte, sah er sich um und musterte die Umgebung, die er noch ganz gut ausnehmen konnte, obwohl sich die Sonne schon sehr dem Untergange zu nahen begann.

02] Nach einer Weile sagte er (Zorel), mit seinen Augen Mich unverwandt anschauend: ”Zinka, jener Mensch dort kommt mir sehr bekannt vor! Ich muß ihn schon irgendwo gesehen haben! Wer er etwa doch ist, und wie er heißt? Je länger ich ihn betrachte, desto mehr kommt es mir ganz lebendig vor, dass ich ihn irgendwo gesehen habe! Zinka, ich habe nun eine große Sympathie für dich, - darum vertraue es mir an, wer jener Mann ist!“

03] Sagt Zinka: ”Jener Mann ist eines Zimmermanns Sohn aus Nazareth, das da liegt über Kapernaum, - aber nicht aus dem gleichnamigen Flecken, der da liegt hinterm Gebirge und zum größten Teile von den schmutzigen Griechen bewohnt ist. Sein Charakter ist der, dass er ein Heiland ist und überaus geschickt in seiner Kunst; denn dem er hilft, dem ist geholfen. Sein Name entspricht seinem Charakter, und er heißt darum 'Jesus', was da ist ein Heiland der Seelen und der kranken Leibesglieder zugleich. Er hat eine noch viel größere Kraft in seinem Willen und in seinen Händen und ist dabei engelsgut und weise. Nun weißt du alles, darum du gefragt hast; hast du etwa noch um irgend etwas zu fragen, so tue das, - ansonst dürften die hohen Herren etwas unternehmen, und wir hätten dann wenig Zeit mehr, über manches uns näher zu verständigen!“

04] Sagt Zorel so etwas halblaut zum Zinka: ”Ich danke dir für das Mitgeteilte, obschon ich nun noch nicht weiß, wie ich so ganz eigentlich daran bin; denn ich kann mir nur den Grund nicht aufhellen, aus dem mir jener Mann gar so bekannt vorkommt! Es kommt mir vor, als hätte ich irgendwann eine große Reise mit ihm gemacht! Ich bin gereist, und das viel zu Wasser und zu Lande, und habe Gesellschaft gehabt, kann mich aber nicht irgend entsinnen, solch einen Mann gesehen und gesprochen zu haben; und doch kommt es mir, wie gesagt, gar sehr also vor, als hätte ich gar vieles auf einer Reise mit ihm zu tun gehabt! - Erkläre mir das, wie das kommen mag!“

05] Sagt Zinka: ”Auf die natürlichste Art von der Welt! Du hast irgendeinmal einen recht lebhaften Traum gehabt, dessen du dich nun so ganz dunkel erinnerst, und das wird der sichere Grund deines nunmaligen Gefühles sein!“

06] Sagt Zorel: ”Kannst recht haben! Mir träumt öfter etwas, dessen ich mich erst so nach etlichen Tagen entsinne, so ich durch ein ähnliches Außenobjekt daran gewisserart erinnert werde; ansonsten geht da alles verloren, und ich erinnere mich dann keines Traumes, und hätte ich noch so lebhaft geträumt! Aber das wird schon so sein; denn in der Wirklichkeit habe ich jenen Nazaräer wohl noch nie gesehen!

07] Nun aber noch etwas, lieber Freund! Sieh, ich bin hierhergekommen, um vom hohen Statthalter das bewußte Almosen zu erhalten. Was meinst du, wird mit ihm etwas zu machen sein? Wäre da nichts zu hoffen, so könntest du dich wohl bei ihm wenigstens dahin für mich verwenden, dass ich wieder heimziehen dürfte. Denn was soll ich nun hier? Für all den theosophisch und auch philosophisch weisen Kram gebe ich nichts. Meine Theosophie und Philosophie sind ganz kurz beisammen: Ich glaube an das, was ich sehe, also an die Natur, die sich von Ewigkeit her immer und immer erneuert. Darauf glaube ich auch, dass das Essen und Trinken die zwei allernotwendigsten Stücke zum Leben sind; aber an sonst etwas glaube ich nicht leichtlich.

08] Es gibt wohl manches Sonderbare in der Welt, wie allerlei Magie und andere Künste und Wissenschaften. Aber zwischen ihnen und mir besteht dasselbe Verhältnis wie zwischen dem Feuer und mir: solange es mich nicht brennt, blase ich nicht! Ich fühle kein Bedürfnis in mir, mehr zu wissen und zu verstehen, als was ich nun weiß und verstehe; und so wäre es auch sehr dumm von mir, noch länger etwa darum verweilen zu wollen, um irgendeine schwer verständliche Weisheitslehre zu erschnappen, damit ich mich dann irgend vor dummen Kerlen patzig machen könnte.

09] Du siehst in mir einen Naturmenschen, dem alle die weise sein wollenden Einrichtungen und Gesetze der Menschen zuwider sind, weil sie dessen angeborene Freiheit oft auf zu harte Weise beeinträchtigen, und das bloß darum, damit einige wenige sehr reich, mächtig und hoch angesehen werden können, wofür dann freilich Millionen im oft tiefsten Elend schmachten dürfen. Verstünde ich mehr noch, als ich jetzt verstehe, so würde ich noch tiefer auf den Grund solcher Ungerechtigkeiten sehen können, was mich sicher nicht glücklicher machen würde; so aber muß mir in meiner Dummheit viel Kummer erspart werden, weil ich nicht den Grund von all den menschlichen Schlechtigkeiten recht fundamental einsehe.

10] Wo die argen, weise sein wollenden Menschen nicht aus sich selbst genug die Menschheit drückende Gesetze haben erfinden können, da stellten sie denkende und sehr erfinderische Köpfe auf, die, mit ekstatisch verzerrten Gesichtern einhergehend, mit mancherlei Gesetzen von seiten der Götter sicher nur lügnerisch ans Licht traten und damit die arme und schwache Menschheit von neuem zu plagen anfingen unter den lächerlichsten Androhungen von den schrecklichsten, ewigen Strafen und unter Verheißungen von den allergrößten Belohnungen, aber freilich das alles erst nach des Leibes Tode, wo es gut belohnen ist, weil die Toten nichts mehr brauchen.

11] Doch was die Strafen betrifft, da ließen die Menschen es nicht bis nach dem Tode anstehen, griffen ihren erfundenen und nichtigen Göttern vor und straften die Vergeher gegen die Gesetze der Götter gleich lieber schon hier, damit jenseits ja niemand zu kurz käme in der angedrohten Strafe. Nur auf die Belohnung ließen sie die Frommen bis ganz nach dem Tode warten; da kommt in diesem lieben Leben niemals irgendein freier Vorschuß zum Vorscheine, außer man hätte sich für einen Großen irgend förmlich totschlagen lassen! Alles, was in den menschlichen Gesellschaftsverbänden ist und besteht, ist so einzeln hoch menschenintereßlich eingeleitet, dass jeder nüchterne Denker auf den ersten Griff gleich den Grund heraus hat, auf dem es erbaut ist: das göttergesetzliche und menschengesellschaftliche Element!

12] Freund! Wenn einer allein als ein freiester Herr aller Herrlichkeiten der Erde leben will, da muß dann freilich die andere willens- und kraftschwache Menschheit weinen samt dem Erdboden, darauf sie steht! Für die Bedrücker der Menschheit, für die allerherzlosesten Tyrannen wäre dereinst freilich wohl eine entsprechende Vergeltung gut; aber wer soll solche erteilen können?! Kurz, es ist nichts! Ein pures, loses Puppenspiel!

13] Wer die andern, das ist die Nebenmenschheit, sich dienstbar machen kann, der tut recht und wohl; denn ein dummer Mensch ist nicht mehr wert denn ein dummer Hund! Der Stärkere und Pfiffigere erschlage ihn, nehme von seinen Gütern vollen Besitz und suche sie dann auf Leben und Tod vor fremden Eingriffen auf jede mögliche Art zu beschützen! Bringt er das zustande, dann wird er bald ein großer und freier Herr; kann er das nicht, so geschieht es ihm auch recht, darum er etwas unternommen hat, von dem er als ein weiser Mann lange genug hätte voraussehen sollen, dass es ihm nicht gelingen werde. Kurz, für die Dummen tauget nichts besser als die Vernichtung; wenn sie nicht mehr sind, da haben für sie alle Gesetze, alle Verfolgungen und alle die unmenschlichen Strafen für ewig aufgehört! Nur nicht sein, wenn man elend sein muß; eine Stunde rechten Elends wiegt zehntausend Jahre der größten Glückseligkeit nicht auf!

14] Liebster Freund Zinka, sieh, das ist so mein harmloses Glaubensbekenntnis, gegen das sich auf dieser Welt wohl schwer wird irgend etwas entgegenstellen lassen. Es ist Wahrheit, die man nun nirgends hören will; alles wiegt sein Dasein in lauter lügenhaften Phantasien und dünket sich dabei so recht glücklich zu sein! Nur zu! Wühle ein jeder denn im Reiche der Lüge und suche in der phantastischsten Phantasie den Trost, wenn das Elend mit eherner Ferse ihm das Genick zu zertreten beginnt!

15] Betäubet euch, ihr Elenden, alle mit dem Mohngifte der Lüge, und schlafet solange ihr lebt unter dem süßen Drucke des Wahnsinns, und es geschieht jedem wohl und recht, so ihn das glücklich macht; nur mir geschieht es unrecht, weil ich mich unter den Aarsfittichen der Wahrheit überaus unglücklich fühlen muß, so ich aus den lichten Höhen den stets gleichen und todbringenden Sturz sehen, fühlen und selbst berechnen muß, der meiner und der andern, mir ähnlichen, harrt! Wer wird mich im Falle aufhalten, so das lockere Band bricht, mit dem mich meine Torheit an des Aars mächtigen Fittich befestigt hat?!

16] Menschen! Lasst mich in der Ruhe doch meinen Raub verzehren, ich tue euch ja nichts; gebt mir von eurem Überflusse nur so viel, dass ich mir das wieder anschaffen kann, was mir der arge Zufall genommen hat, und ihr sollt an mir keinen undankbaren Bettler finden! Wollt ihr mir aber nach der gewöhnlichen Art gar nichts geben, so lasst mich zum wenigsten unbeirrt heimziehen, auf dass ich als ein armer Faun, natürlich auf ungesetzlichen Wegen, mir so viel Holz zusammensammle, um mir auch nur eine allernotdürftigste Hütte zu erbauen, so gut wenigstens, wie sich das Bibertier eine erbaut! Eines oder das andere werdet ihr mir ja etwa doch gewähren; mich aber etwa noch elender zu machen, als ich nun schon bin, das werdet ihr ja etwa doch wohl nicht tun! Habt ihr für mich aber solches im Sinne, da tötet mich lieber gleich! Denn elender als ich nun schon bin, will ich durchaus nicht werden und sein! Denn tötet ihr mich nicht, dann weiß ich, was ich zu tun habe! Ich werde mich selbst zu töten verstehen!“

17] Sagt Zinka endlich wieder: ”Das sei ferne von dir! Auch sollst du bei deinen sonderlich guten Kenntnissen und Erfahrungen zu solch einer tollsten Tat, sie zu vollführen, nicht genötigt werden; denn während du schliefst, hat Cyrenius für dich schon bestens gesorgt, aber erst wenn du einsehen wirst, wie eben das, was du als Wahrheit nun erkennst, die größte Unwahrheit ist! Sei also unbesorgt und nimm eine bessere Lehre an, und du sollst dann erst wahrhaft und ganz glücklich werden!“



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