Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 87


Kornelius und Zorel besprechen sich über Wunder.

01] Alle greifen nun zu und essen wacker und heiter drauflos; besonders stark nahm wieder Raphael zur Sicht mehrere große Fische vor sich und verzehrte sie wunderbar schnell, was dem Zorel und dem Zinka sehr auffiel, besonders aber dem Zorel, der noch gar nicht wußte, wer der Jüngling sei. Er erkundigte sich darum beim Cyrenius, wie der Junge gar so heißhungrig die größten Fische verzehre, da er ja doch von ferne keinem Vielfresser gleichsehe.

02] Darauf gibt ihm Cyrenius zur Antwort: ”Jener Junge ist ein wundersames Wesen; er ist ein Mensch und Geist zugleich, ist von einer Kraft und Macht belebt, von der dir noch nie etwas geträumt hat, Mein Bruder Kornelius, der neben dir sitzt, kann dir dasselbe bezeugen!“

03] Hierauf fragt Zorel den Kornelius, was es denn mit dem Jungen für eine besondere Bewandtnis habe.

04] Sagt Kornelius: ”Siehe, lieber Zorel, es ist das, was dir mein Bruder schon gemeldet hat; ein mehreres über sein wundersames Wesen kann ich dir aus dem ganz einfachen Grunde nicht mitteilen, weil ich, ganz offen gesagt, es wahrlich selbst nicht verstehe. Er ist etwa derselbe Engel, der nach der Juden Mythe einst einem jungen Tobias schon als Führer gedient hat. Ich war sicher nicht dabei, um dir in dieser Sache als ein lebendiger Zeuge dienen zu können; aber ich glaube es, dass es also war, - und warum sollte man so etwas nicht glauben?!

05] Es geschehen ja hier wieder solche Wunderdinge, die unsere späten Nachkommen schwer glauben werden, - und doch sind sie wahr vor unseren Augen und Ohren, weil wir sie sehen und hören! Es geschieht nun des göttlich Wunderbaren ja so viel, dass man am Ende schon alles glauben muß, was immer in den Schriften und Büchern der Juden als Wundersames erzählt wird. Denn kann hier ein Wunder das andere ordentlich zudecken, warum nicht auch in jenen alten Zeiten, - und so kann dieser Starkesser ganz gut vor etlichen hundert Jahren einem frommen jungen Tobias als ein Führer gedient haben! Ich für mich glaube das alles nun steinfest und bin der Meinung, dass du darin auch keinen Anstand nehmen wirst!“

06] Sagt Zorel: ”Ich schon gar nicht; denn alles Wunderbare ist etwas Besonderes und hat mit den Erscheinungen im Gebiete des Natürlichen keine Ähnlichkeit. Es tritt die bekannten Gesetze der Naturwelt mit Füßen und ist in sich die Verwirklichung der Phantasie eines mit aller Weisheit begabten Dichters. Denn was nur immer ein phantasiereicher Mensch sich denken kann, wird im Gebiete des Wunderbaren realisiert!

07] Einem Gott muß ja doch alles möglich sein, weil der Bestand einer Welt und des gestirnten Himmels in einem fort als permanente Zeugen dastehen! Denn die erste Erschaffung einer Welt müßte uns ja ganz entsetzlich wunderbar vorkommen! Ist aber eine Welt als erschaffen und mit den gewissen Bestandsgesetzen versehen einmal da und von Wesen unter denselben Bestandsgesetzen bevölkert, so kann sie denen, die sie bewohnen, freilich wohl nicht mehr gar zu wunderbar vorkommen!

08] Kommt aber, wie außerordentlichstermaßen nun, auf derselben wunderbarst erschaffenen Welt der Schöpfer zu der Bevölkerung der Welt, so muß diese sicher von neuem groß zu staunen beginnen, wenn der alte Allmächtige vor ihren Augen Werke zu vollführen beginnt, die freilich nur Ihm und sonst in der ganzen Unendlichkeit ohne Seinen Willen niemandem möglich sein können.

09] Ich stelle damit aber gar nicht in irgendeine Abrede, dass irgendein geistig ganz vollendeter Mensch auch Wunderbares zu leisten imstande sein wird; vielleicht wird er als ein ganz vollendeter, reiner Geist sogar auch eine kleine Welt erschaffen können, - aber ohne Mitwirkung des göttlichen Willens sicher ewig nicht! Ein solcher Geist wird auch sicher höchst weise reden und lehren können, aber ohne den göttlichen Geist in seiner Brust auch ewig nicht!

10] Ich kann mich noch so dunkel entsinnen aus der jüdischen Geschichte, dass einmal ein Esel zu einem Propheten Bileam soll ganz weise gesprochen haben. Ja, in der gar alten Zeit sollen sogar die wilden und reißenden Tiere die verstockten Menschen gelehrt haben! Wir waren nach deinen Worten auch nicht dabei; aber es kann demungeachtet schon immer etwas Wahres daran sein. Aber solche Tiere wurden für den Augenblick sicher vom Geiste Gottes ergriffen und mußten Ihm als Werkzeuge dienen! Und nicht um vieles anders und besser wird es mit der Weisheit der weisesten Menschen und Geister stehen; der eigentliche, große Unterschied wird nur in dem Verbleiben und Wachsen bestehen!

11] Das ist so meine Ansicht! Dies will ich freilich wohl nicht als eine apodiktisch gewisse Wahrheit aufgestellt haben, - denn ich bin mit meinen Vernunftgründen schon einmal eingegangen und möchte solch einen Sprung auf Leben und Tod nicht noch einmal durchmachen; aber nur, wie man vernünftigermaßen also davon spricht, kann man ohne irgendeine Begründung ja doch immerhin so eine Meinung gegen eine andere aufstellen und am Ende zur Einsicht gelangen, ob und wieviel Wahres etwa daran ist oder auch nicht ist!“

12] Sagt Kornelius: ”Freund, du redest wie geschrieben, und es ist an deiner bescheidenen Meinung schon sicher auch etwas daran; aber ich habe nun noch eine Meinung für dich, und diese besteht darin, dass du nun deinen Fisch verzehren sollst und nicht so sehr darauf sehen, wie der Himmelsjunge einen Fisch um den andern wegißt und noch immer einen Appetit äußert, aus dem sich mit aller Leichtigkeit erkennen läßt, dass er noch zehn solche Fische ohne alle Anstrengung unters Dach zu bringen imstande wäre! Iß nun auch du, und zeige, dass auch du wenigstens eines Fisches Meister werden kannst und eines Bechers guten, ja besten Weines!“

13] Auf diese Worte ißt und trinkt nun unser Zorel in aller Ruhe ganz wacker drauflos und kümmert sich nicht mehr gar so um alles, was da irgend um uns her geschieht.



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