Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 244


Das Ich des Menschen als eigener Herr seines Geschickes.

01] (Der Herr:) ”Wenn man denn so das Leben des Menschen selbst in seinen irdisch günstigsten Verhältnissen durchmustert, so ersieht man es leicht, dass demselben eben nichts geschenkt ist. Vom Könige bis zum Bettler hat ein jeder mit des Lebenssommers Fliegen, die voll Stacheln sind, den Kampf zu bestehen, der durchaus nichts Anmutiges in sich faßt. In der Kindheit wird der Mensch mit der Schwäche geplagt, als Mann mit allerlei Sorgen und als Greis mit beiden, und die letzte Lebensstunde hat noch nie jemand für die angenehmste seiner Zeit gefunden.

02] So schleicht das irdische Leben stets zumeist zwischen Dornen und Disteln hin, und wem diese nicht gefallen, der wird sich von dem Erdfleischleben am Ende wenig Angenehmes und Beseligendes vorzuerzählen imstande sein; und je eigenliebiger jemand war, desto mehr Beleidigungen hatte er auch zu bestehen gehabt. Wer sich jedoch, als am wenigsten eigenliebig, aus all den vorkommenden Lebenssommerstechfliegen und aus all den ihn verkleinernden und verunglimpfenden Dornen und Disteln nichts gemacht hat, und wen auch allerlei körperliche Leiden, Armut, öfterer Hunger und Durst, Kälte, schlechte Kleider und ebenso schlechte Wohnung und daneben noch allerlei anderes Elend nicht aus der Fassung gebracht haben, der wird am Ende seines Lebens noch von mancher Lebensanmut zu erzählen wissen, während selbst ein König trotz all des ihm gestreuten Weihrauches am Ende seiner Erdenlebensbahn über nichts als lauter Unzufriedenheiten über Unzufriedenheiten sich wird zu beklagen haben.

03] Denn wo etwa lebt der König, der alles das, was er sich beim Antritte seiner Regierung vorgenommen hatte, in eine glückliche Ausführung gebracht hätte?! Weil aber solches unmöglich war und er am Ende manchen gar groben Rechnungsfehler bei sich selbst entdeckt hat, so ist er total unglücklich, und es ist eine alte, bekannte Sache, dass die Könige zumeist aus Folgen eines geheimen inneren Grames sterben.

04] So befindet sich demnach der sich selbst bestimmende und bildende Mensch die Zeit seines Erdenlebens hindurch in seinem vollkommen bestimmten Bewußtsein seiner selbst, in und unter welchem er diese Erdenlebensprobe durchgemacht hat. Ob in oder außer Meiner Ordnung, das wollen wir nun in diesem Falle als einerlei annehmen; denn in jeder Hinsicht hatte das Erdenleben ihm wenig Anmutiges, aber dafür desto mehr allerlei Bitteres erwiesen. Darum auch die großen Weltweisen der Heiden auf der Welt gar niemanden glücklich preisen wollten, und sie nur jene glücklich priesen, die wieder in den Schoß der Erde zurückgekehrt sind.

05] Was hätte denn dann eine Seele für alle die ausgestandenen Mühsale, so sie nach der Ablegung des Leibes ihr Bewußtsein als das unvertilgbare Ur-Ich verlöre und entweder gar aufhörte zu sein oder ihr Ich zerteilt bekäme in tausend andere Ichs?! Wäre von euch wohl jemand zufrieden mit solch einer Einrichtung Meiner Ordnung? Sicher niemand! Daher meine Ich, dass es dennoch immer besser sein wird, die Sache bei der alten Ordnung zu belassen und vor allem darauf zu sehen, dass ja wohl ewig nie jemandes noch so schlecht bestelltes Ich irgendeinen Schaden erleiden solle in seiner Identität!

06] dass ein Ich erst dann ein vollkommen glückliches werden kann und muß, wenn es, sich selbst bestimmend, in Meine Ordnung eingegangen ist, das wisst ihr nun vollkommen; denn darum habe Ich euch ja nun seit nahe sieben Tagen in einem fort gepredigt und habe euch zurückgeführt auf die Urwurzeln aller Schöpfung der Geister- und Sinnenwelt. dass aber im Gegenteil eine Seele auch so lange in keine wahre und dauernde Glückseligkeit eingehen kann, als bis sie nicht, sich selbst frei bestimmend, in Meine Ordnung eingegangen ist, das habe Ich euch auch schon gar vielfach gezeigt durch Worte, Taten und viele schaubare Beispiele und habe es euch wiederum durch Worte dargetan. Wie kann hernach irgendeine Lieblosigkeit, Unbarmherzigkeit, Härte und Ungerechtigkeit in Mir vorhanden sein? Oder kannst du das, was zum Sein eines Menschen notwendig ist, wohl eine Härte in Mir nennen? Ja, mit einem Grane (Gran ist eine alte, kleine Gewichtseinheit) weniger Geduld und mit um ebensoviel weniger Langmut wäre Ich hart und ungerecht; aber also durchaus nicht!“



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