Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 23


Ansichten des Roklus über Götter und Priester.

01] (Roklus:) ”Wir haben mit einigen kleinen Seitensprüngen nun zwei Gottheitsbegriffe, von denen eine nur einigermaßen geweckte menschliche Vernunft rein zum Lachen genötigt wird. Bei den Ägyptern, Griechen und Römern wimmelt es von großen, kleinen, guten und bösen Göttern; bei den Juden sitzt nur einer auf dem Throne, der sehr ernst und streng gerecht, aber dabei dennoch gut und zuweilen barmherzig ist. Aber böse machen dürfen ihn die Juden, die er sein Volk nennt, auch nicht; denn geht ihm einmal die Geduld aus, dann hat bei ihm aller Scherz rein aufgehört. Er taucht dann gleich die ganze Menschheit unters Wasser auf ein Jahr lang, und läuft dann - Gott weiß wohin - das Wasser ab, so sind Millionen geheilt und fühlen sicher keinen Kopfschmerz mehr! Oder er läßt gleich Blitz-, Schwefel- und Pechfeuer vom Himmel herab über ein lasterhaftes Völkchen einen halben Monat lang regnen, und das Völkchen ist samt dem Laster von der Erde verschwunden! Auch mit Pestilenz und andern Übeln ist der Eingott der Juden sehr freigebig; und fängt er einmal an, seine Zuchtrute über ein Völklein zu schwingen, dann ist von einem baldigen Aufhören schon lange gar keine Rede! Bei den Juden kommt sonach alles Gute und Schlimme von einem und demselben Gotte, während bei uns Griechen viele Götter eines oder das andere zu besorgen haben. Wer nun mit seiner Götterei besser daran ist, dürfte hier sehr schwer zu entscheiden sein.

02] Aber was Götter entweder im Himmel oder im Orkus und Tartarus!? Das ist alles ein blauer Nebeldunst! Die müßigen und arbeitsscheuen Priester sind die Götter, und der Juden Eingott ist der Hohepriester zu Jerusalem! Diese Menschen sind mit mannigfachen Erfahrungen und Wissenschaften wohl ausgerüstet, von denen sie ja weislich nichts ins blind gemachte und fürder mit aller möglichen Gewalt blind gehaltene Volk übergehen lassen. Nur in ihrer böswilligen Kaste werden die oft sehr breiten Erfahrungen vieler Jahrhunderte und die mannigfachsten Künste und Wissenschaften aufbewahrt, und das als stets unantastbare, heilige Geheimnisse. Damit treiben sie loses Spiel mit den Menschen, die ihnen dafür recht dick opfern müssen, daß sie von ihnen dann um so leichter so breit als möglich betrogen und nach allen Lebensseiten hin mißhandelt werden können. Mein ganzes Vermögen und selbst den letzten Funken meines Lebens gebe ich dem, der mir das Gegenteil faktisch beweisen kann!

03] Es mag hie und da in den Urzeiten wohl ehrlichere und biedere Menschen gegeben haben, die, mit einer besonderen Geistesschärfe schon von Geburt an ausgerüstet und mit der Zeit durch mannigfache und viele Erfahrungen bereichert, gerne und mit aller Liebe ihre geistigen Errungenschaften mit ihren nicht so hoch geweckten Mitmenschen teilten und am Ende auch die Segnungen an ihren Brüdern von den besten und nachhaltigsten Erfolgen begleitet ersahen. Es muß sich gar herrlich haben leben lassen in einer Volksgemeinde, in der kein Mensch vor dem andern irgendein selbstsüchtiges Geheimnis barg und alle in alles eingeweiht waren zu ihrem Frommen, was der eine Erfahrenste unter ihnen wußte! Aber wie lange konnte ein solch glücklicher Zustand dauern?

04] Ein solcher erster Wohltäter seiner Mitmenschen ward von ihnen sicher auf den Händen getragen, und nicht minder sein Nachfolger. Das erweckte bei so manchen den Müßiggang Liebenden den Neid und die Sucht, auch von den Nebenmenschen auf den Händen getragen zu werden. Sie suchten sich auch mit Erfahrungen einer und der andern Art zu bereichern, fingen aber damit schon an, stets mehr und mehr geheimzutun, um sich dadurch bei ihren Nebenmenschen wichtig zu machen. Da sagte einer, der es längere Zeit über sich vermocht hatte, stumm wie ein Fisch, aber dabei mit erhabener Miene einherzuschreiten, so er natürlich von vielen Neugierigen auf das dringlichste befragt ward, warum er stets so stumm und tiefsinnig einherwandle: "Wüßtet ihr das, was ich weiß, und hättet das gesehen, gehört und erfahren, was ich gesehen, gehört und erfahren habe, dann würdet ihr vor lauter innerem Staunen noch stummer und tiefsinniger euch ergehen denn ich!"

05] Wenn die vor Neu- und Wißbegier ordentlich brennenden, noch ganz einfachen Menschen so etwas von einem listigen Gauner und Tagediebe hören, so geben sie ihm schon gar keine Ruhe auf so lange mehr, bis er ihnen Bedingungen zu machen anfängt, unter denen er ihnen nur etwas Weniges von seinem unendlichen Vorrate mitteilen will. Die Bedingungen werden bereitwilligst eingegangen, und der pfiffige Gauner hat sich dadurch zu einem Propheten und Priester unter seinen Mitmenschen emporgeschwungen, denen er dann allerlei mystische Dinge vorzumalen anfängt, die weder er und noch weniger jemand anders versteht und verstehen kann, weil sie sonst nirgends vorhanden sind als nur im ziemlich phantasiereichen Gehirne unseres Gauners, der durch solchen seinen listigen Betrug am Ende alle die wirklichen alten, redlichen Naturweisen zum Schweigen bringt, und zwar hauptsächlich dadurch, daß er das Volk an sich zieht und demselben begreiflich macht, daß er allein mehr weiß und versteht denn zehntausend ihrer alten Weisen.

06] Um seinen Truglehren aber bei dem Volke den vollsten und bleibendsten Eingang zu verschaffen, darf er nur etliche Zauberstücklein hinzufügen, und das arme, gute Volk läßt sich von ihm, dem herz- und gewissenlosen Gauner, gleich mit tausend scharfsichtigen, scharfhörigen und gewöhnlich allmächtigen Göttern auf das allerfesteste vernageln!

07] Und wehe dem ehrlichen und wohlmeinenden Biedermanne, der aus wahrer Einsicht und reiner, uneigennütziger Liebe zum Volke sagte: "Glaubt diesem falschen Propheten nicht; denn jedes Wort aus seinem Munde ist eine bergdicke Lüge, aus der nichts als eine brennendste Eigenliebe und die tyrannischste Herrschsucht herausschaut, die eure jetzt noch freien Glieder ehest mit den schwersten Ketten belegen wird! Er wird euch unerträgliche Gesetze unter dem Titel 'Götterwille' aufbürden und auf die Übertretung derselben die schwersten Strafen, ja sogar den Martertod bestimmen. Dann werdet ihr und eure Kinder unter dem mächtigsten Drucke eines solchen Falschlehrers seufzen und wehklagen und werdet laut rufen um Abhilfe! Aber euer Rufen wird ein völlig vergebliches sein; denn gegen die Macht des Tyrannen, der weder ein Herz noch irgend eine humane Nächstenliebe besitzt, wird sich schwer etwas ausrichten lassen!"

08] Solch einer Gegenbelehrung, die in den Anfängen der Volksknechtungen sicher häufig wird stattgefunden haben, kann doch keine rechtliche und gesunde Menschenvernunft etwas entgegen haben! Aber das Volk ließ sich durch etliche Wunder breitschlagen und glaubte entweder an einen oder gar an eine Menge von allerlei Göttern und ließ sich von ihnen, das heißt von ihren allerstolzesten und allerhochmütigsten und allergrausamst herrschsüchtigsten und eigennützigsten Stellvertretern, auf das allerunbarmherzigste mißhandeln, als selbst nachzudenken anzufangen und zurückzukehren zur alten, naturreinen Menschenvernunft. Wenn man, gleich mir und auch meinen elf Gefährten, die Sache so ziemlich genau kennt, so wird es etwa wohl begreiflich sein, warum ich ein Atheist bin.“



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