Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 215


Die Mission Jesu. Epiphans Zweifel am Verständnis der Menschen für die Lehre Jesu.

01] Sage Ich: ”Um dir mit wenigen Worten die Sache zu zeigen, so sage Ich dir: Meine Sache und Lehre besteht einfach darin, dem Menschen zu zeigen, o er eigentlich her ist, was er ist, und wohin er kommen soll und auch kommen wird der vollsten und evidentesten Wahrheit nach.

02] Schon die Griechen, das heißt die Weisen, haben gesagt: "Das schwerste, wichtigste und höchste Wissen liegt in der möglich vollkommensten Selbsterkenntnis!" Und sieh, das eben ist nun Meine Sache; denn ohne diese Erkenntnis ist es unmöglich, ein allerhöchstes Gottwesen als den Grund alles Werdens, Seins und Bestehens zu erkennen!

03] Wer aber das nicht erkennt und sein Leben, sein Sinnen und Trachten nicht für diesen allein wahren Lebenszweck einrichtet, sich und ein allerhöchstes Gottwesen als den ewigen Urgrund alles Seins und Werdens vollkommen zu erkennen, der ist so gut wie verloren.

04] Denn wie ein jedes Ding, das in seinem Innern keine sich durch und durch ergreifende und in allen seinen Teilen festhaltende und stets mehr und mehr unwandelbare Konsistenz hat, bald zerfällt und respektive als das, was es war, vollends zunichte wird, ebenso auch der Mensch, der in sich, mit sich und in und mit Gott nicht völlig eins geworden ist.

05] Das kann der Mensch aber nur eben dadurch werden, daß er einmal sich und dadurch dann unerläßlich auch Gott als seinen Urgrund vollends erkennt und nach solchem Erkennen tätig wird in allen seinen Lebenssphären.

06] Ist ein Mensch also in sich reif und gediegen geworden, so ist er dann auch ein Herr aller der von Gott ausfließenden Kräfte und durch diese auch ein Meister aller Kreatur geistig und materiell geworden, ist in und für sich durch gar keine Kraft mehr zerstörbar und steht dann also im ewigen Leben.

07] Und sieh, das ist aber nun auch der totale Inbegriff Meiner gesamten neuen Lehre, die aber im Grunde des Grundes eigentlich eine allerälteste Lehre seit Anbeginn des Menschen auf dieser Erde ist! Sie ist durch die Trägheit der Menschen nur verlorengegangen und wird von Mir als das verlorene uralte Eden (Je den = es ist Tag) den Menschen, die eines guten Willens sind, nun wieder als neu gegeben. - Sage du, Epiphan, Mir nun, ob da Mich wohl so recht verstanden hast, und was da deine Meinung ist!“

08] Sagt Epiphan: ”Ja, verstanden habe ich dich allerdings und muß auch dazu noch offen gestehen, daß eine solche Erkenntnis als unter den Menschen möglich für allgemein angenommen das Allerwünschenswerteste und Höchste wäre, was je ein Sterblicher auf dieser Erde erreichen könnte, und es können dir und deinen Gefährten die instruktiven Wege dazu ganz überaus wohl und klar bekannt sein! Aber nur erinnere ich mich bei dieser Gelegenheit eines alten Römerspruches, der wahrlich sehr weise ist und vielseitige Auslegung und Vergleichung ganz gut verträgt. Der Spruch aber lautet: 'Quod licet Jovi, non licet bovi! - Propheta, poeta et cantores nascuntur, - rhetor fit!' ("Was dem Jupiter erlaubt, ist nicht erlaubt dem Ochsen! - Zum Propheten, Poeten und Sänger wird man geboren, - zum Redner wird man gemacht!") Für kleine, nichtige Dinge und Arbeiten kann sogar ein Ochse ganz gut abgerichtet werden, aber ewig nie wird er mit Schlegel und Meißel dem harten Marmor eine Minerva entlocken!

09] Die Weisesten der alten Ägypter und Griechen haben doch sicher allen Fleiß auf die Erkenntnis ihrer selbst und eines göttlichen Grundurwesens verwendet; wie weit aber sind sie gekommen? Gerade so weit, daß sie eingesehen haben, daß zu einer solchen notwendig umfassendsten Erkenntnis zu gelangen für den beschränkten Menschen eine allerpurste Unmöglichkeit ist, und der Spruch: 'Quod licet Jovi, non licet bovi!' fand auch da seine vollste Geltung!

10] Nun, es mag übrigens bei dir so manche Ausnahme stattfinden, was ich aus deinen anderen Worten und besonders Taten vernommen habe; aber ob auch der gewöhnliche Mensch von zum Beispiel meinem Schlage davon und darin sich irgendeinen haltbaren Begriff wird machen können, das ist eine andere Frage! Denn so manche, freilich seltenen Menschen, die sogenannten Genies, besitzen oft gar eigentümliche Fähigkeiten in sehr vielen und verschiedenen Richtungen. Der eine ist schon in der Wiege ein Hellseher und ein Prophet, ein zweiter ist ein Sänger von außerordentlicher Art, der dritte ein Bildner, ein vierter ein Rechner und ein Magier nahe schon im Mutterleibe. Der eine hat ein ungeheuer starkes Gedächtnis, ein anderer ein paar so scharfe Augen, daß er auf etliche Stunden weit einen Menschen ausnehmen und zur Not sogar erkennen kann.

11] Und so gibt es noch gar manchen unter den Menschen von großen Talenten; aber alles das, was nur den Genies eigen ist, das läßt sich ewig nimmer so ganz gründlich nachlernen, daß es dann von einem Jünger auch in jener Vollendung wiedergegeben werden könnte, wie es der geniale Meister in sich besaß. Es ist und bleibt so etwas dennoch stets nur eine nahe wertlose Stümperei.

12] Und so bin ich denn auch der nahe maßgeblichen Meinung, daß wir dich in solcher deiner neuen Lehre wohl so halbwegs verstehen werden, was du uns sagen wirst, aber zur durchgreifenden praktischen Darstellung in uns werden wir es nimmer bringen. Doch, nun, du bist auf jeden Fall ein seltenster Meister deiner Sache und wirst dich wohl auskennen, was du in uns für Leute vor dir hast; wir aber werden es dann sehen, was wir zu begreifen und zu tun imstande sind! Wir sind wohl für eine reine Wissenschaft sehr eingenommen, obwohl wir sie auch leicht missen können, da unsere bisherige Lebensansicht - wie Figura unseres hiesigen Standes zeigt - sich mit dem Minimum der zur Erhaltung des Lebens erforderlichen Bedürfnisse mehr denn vollkommen begnügt; aber - wie gesagt - darum sind wir keine Feinde der reinen Wissenschaft.

13] Hiram und Aziona haben mir wohl die aufrichtigste Nachricht von dir gegeben, der ich Glauben schenken mußte, weil ich die beiden als zu überaus wahrhaftige Menschen kenne. Aber nun kommt es erst auf die Überzeugung von all dem auf dem theoretischen und praktischen Wege an; habe ich diese, dann sollst du an mir keinen schlechten und trägen Ausbreiter deiner neuen Lehre haben! - Ich habe nun geredet, und nun rede du!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 5  |   Werke Lorbers