Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 108


Die atheistische Rede eines redegewandten Priesterweibes.

01] Die Priester und ihre Weiber grüßten uns und machten vor Mir ihre tiefe Verbeugung, und Jored wies ihnen sogleich Plätze an unserem Tische an und setzte ihnen Brot und Wein vor. Als sie der Ehrung halber etwas Brot und Wein zu sich genommen hatten, da fingen die Weiber bald an laut zu werden, und ganz besonders das gar überkluge und weltweise Weib des Minervapriesters. Diesem Weibe gerade gegenüber saß der judgriechische Schriftgelehrte und konnte schon beinahe die Zeit nicht erwarten, in der er mit dem Weibe wortgemein würde; denn es sprach nun von ganz anderen und gleichgültigen Dingen.

02] Etwa nach einer kleinen Stunde erst wurde das Gespräch auf einen anderen Gegenstand von einiger Bedeutung geleitet, und zwar auf das Orakel zu Delphi und auf das seit alters bestehende Weltorakel zu Dodona. Bei dieser Gelegenheit erst fand unser Schriftgelehrter einen Moment, in welchem er mit dem Weibe in einen Wortwechsel treten konnte, worüber er aber schon ganz ärgerlich wurde, weil er so lange auf eben diesen Moment hatte warten müssen.

03] Aber um so intensiver ging jetzt das Wetter los. Das Weib behauptete nämlich, daß diese Anstalten für die gemeine Menschheit noch immer eine große Wohltat wären, weil eben durch sie die Menschen noch am meisten beim blinden Glauben an eine Lebensfortdauer der Seelen nach dem Tode erhalten worden seien. Denn allda hätten die blinden und schwachsinnigen Menschen, sich gegen ein kleines Opfer in eine Besprechung mit ihren verstorbenen Freunden einzulassen, eine noch immer ganz gute und durch den alten Glauben autorisierte Gelegenheit, und das sei und bleibe immer gut, da man den Menschen bis jetzt noch nichts Besseres hätte bieten können.

04] Mit der stoischen Wahrheit, die sie freilich nur als die einzige und durch alle Erfahrungen bestätigte anerkennten, wäre dem ungebildeten Volke wenig geholfen, und es sei darum auch gut, daß diese Wahrheit allein nur den Priestern anheimgestellt sei, auf daß sie weise seien und desto mehr allerlei fromme Betrügereien fürs Volk erfinden könnten, durch derer Effektuierung das Volk für die kurze Lebenszeit ganz glücklich gemach werde. Die Priester könnten so ein Glück freilich nie genießen, dafür aber bedürften sie der Opfer, um ihr sonst trauriges und elendes Leben leichter zu ertragen, und sie müßten sich mit dem kommenden gefühl-, schmerz- und sorgenlosen Nichtsein vertrösten.

05] ”Ich sage nicht“, sprach die Priesterin weiter, ”als könnte für dieses Gute nichts Besseres gegeben werden; aber solange das nicht geschieht, ist das Bestehende noch immer das bei weitem Beste. Die rechte Weisheit lehrt uns Menschen, durch jedes zweckmäßige, aber stets geheim zu haltende Mittel die allgemeine Menschheit in einen möglichst wohlerträglich glücklichen Lebenszustand zu versetzen und sie im selben zu erhalten. Dadurch bekommt dann der Mensch erst den sittlichen Wert und wird fähig, ein brauchbares Glied der menschlichen Gesellschaft auszumachen. Darum ist aber dann auch der in sich höchst traurige Priesterstand, der sich für sich im Anschauen der reinen, aber sehr traurigen Wahrheit befindet, von seiten aller laien Menschen nie genug zu achten; denn allein von dem sich für die Menschheit opfernden Priesterstande hängt alles Wohl und Wehe der Menschen ab.

06] Ich setze den möglichen Fall: Alle Priester und Priesterinnen würden sich einmal dahin gegen das Volk verschwören, daß sie ihm die volle und reine Wahrheit sagten und ihm den ganzen Kram des frommen Betruges entdeckten. Das würde in der Welt sicher eine der allergräßlichsten Unordnungen unter den Menschen bewirken. Nichts wäre dann einem Menschen mehr heilig, und der Stärkere würde den Schwächeren wie ein reißendes Tier anfallen und zerreißen, ja, man würde die neugeborenen Kinder schlachten und sie den Hunden zum Fraße vorwerfen. Kurz und gut, der Mensch würde bald sein eigener Feind und ein fürchterlicher Feind alles Lebens, wie es im Grunde auch wir selbst für uns und unter uns der vollen Wahrheit nach sind.

07] Denn wir kennen keinen Gott - außer nur den, der aus unserer Phantasie seinen Ursprung nahm. Wir kennen wohl etwas, und das besteht darin, daß es in der großen Natur geheime Kräfte gibt, denen unter vielen und verschieden zufällig sich entwickelnden Umständen auch der Mensch sein trauriges Dasein verdankt; aber diese Kräfte sind ebensowenig irgend intelligente und ihrer selbst bewußte Gottheiten, als wie wenig das Wasser darum eine Gottheit ist, weil es durch seine ganz stumme und blinde Kraft der Schwere stets der Tiefe zueilt, was man aus der alten Erfahrung wohl weiß, weil man noch nie irgendeinen Bach auf einen Berg hinauf hat fließen und rinnen sehen. Darum sind tausend Götter mit dem dicksten Aberglauben dem Menschen um unaussprechbar vieles heilsamer und nützlicher denn alle noch so reine Wahrheit. He, was liegt daran, was ein Mensch von der Wiege bis zum Grabe hin für einen Glauben gehabt hat, wenn der Glaube ihm nur eine wohldargestellte Versicherung auf ein erträgliches und fortwährendes Leben der Seele nach des Leibes Tode gab?

08] Was kann uns da irgendein dummer Wahrheitszelote sagen und was erwidern, so wir sagen: ,Jede Götterlehre für die Menschen, welche sie zum Glauben an irgend höhere Gottwesen bringt und ihnen die volle Versicherung auf ein ewiges Leben der Seele nach dem Tode bietet, ist gut!'? Falsch und erlogen ist in sich jede Götterlehre, nur die davon abgeleiteten Sittengesetze sind gut. Darum ist aber auch - so es ein Leben nach dem Tode gibt noch nie ein Mensch zurückgekommen, daß er uns Priester deshalb zu einer Verantwortung zöge und allenfalls sagte: ,O ihr bösesten Wichte, warum habt ihr mich denn mit so kolossalen Lügen, mit falschen Lehren auf die schmählichste Art betrogen?'

09] Wahrlich, gäbe es ein Leben der Seele nach dem Tode, so würden solche von uns so tief betrogenen Seelen schon gar lange sich an uns sichtbar und glaubbar gerächt haben, oder sie würden, unser Elend einsehend, uns eine nähere Aufklärung über Gott und über das Leben der Seele nach des Leibes Tode gegeben haben! Aber weil es nach dem Tode des Menschen, wie jedes Tieres, kein Leben mehr gibt und geben kann, so kommt auch kein Geist mehr zum Vorschein und rächt sich an uns dafür, daß wir ihn in dieser Welt gar so sehr belogen und betrogen haben, und wir dürfen uns darob auch durchaus keine unnötigen Sorgen machen.

10] Die Menschen haben hier auf dieser Erde nach den klimatischen Boden- und Wasserverhältnissen verschiedene Talente und Eigenschaften. Der eine ist riesenstark, der andere schwach wie eine Fliege. Der eine hat einen scharfen Verstand, und ein anderer daneben ist dumm wie die Nacht. Der eine hat ein scharfes Gesicht wie ein Aar, und sein Nächster ist blind. So hat einer vermöge seiner durchgängigen Scharfsinnigkeit eine kaum glaubliche Beobachtungs- und Kombinationsgabe, dringt leicht in alle Tiefen des Wirkens der geheimen Naturkräfte und weiß es bald anzustellen, es ihnen irgend im kleineren oder größeren Maßstabe nachzutun, und die andern, solcher Eigenschaften baren Menschen staunen dann über ihn und halten ihn beinahe für einen Gott. Andere wieder dürfen tausend Jahre die stets rege und tätige Natur beobachten, und sie finden und erfinden nichts, obwohl sie eben auch Menschen sind.

11] Aber trotz allen den oft gar überaus wunderbarsten Eigenschaften, mit und unter denen schon oft die Menschen auf dieser großen Erde gewandelt sind, haben sie am Ende dennoch sterben müssen, und kein sterbliches Auge hat von ihnen je einmal wieder etwas gesehen. Und so sagen wir, obwohl wir eure wunderbarsten, in der Machtgröße noch kaum je dagewesenen Fähigkeiten im höchsten Grade bewundern, daß auch ihr alle samt uns also vergehen werdet von dieser Erde, wie alle eure großen Vorgänger vergangen sind. Nur ihre mannigfachen Lehren und ihre Taten und Werke sind noch bei ihren Nachfolgern in der Erinnerung geblieben, und das wird in der Zeitenfolge auch mit euch der gleiche Fall sein, was euch freilich nichts nützen wird, weil ihr als nicht mehr Seiende auch nichts mehr brauchen werdet.

12] Das ist so unsere durch die Erfahrung aller Völker der Erde wohlbegründete und bis jetzt allein wahrste Ansicht über das Sein und über die Bestimmung des Menschen. Daß es außer dieser allein vollwahren Lebensanschauung wohl bei allen Völkern eine Menge recht schöner Phantasien über eine ewige Lebensbestimmung der Menschenseelen nach des Leibes Tode gibt, das wissen wir recht gut; aber wer bürgt für ihre Wahrheit? Etwa die Bilder der Träume der Menschen oder jene Phantome einer fieberig erhitzten Phantasie? Oh, das sind alles nur Wirkungen der verschiedenen Lebensstadien des Menschen, solange sein Herz pulst! Hat das aufgehört, tätig zu sein, dann haben auch die Träume und die Fieberhitzphantome aufgehört und mit ihnen das Dasein des Menschen und seine oft so schönen Hoffnungen! - Ich habe nun geredet, und nun redet ihr, Meister aus dem Reiche der Götter, und gebet uns etwas Besseres!“

13] Über diese ziemlich gedehnte, rein atheistische Rede der Priesterin war der Schriftgelehrte schon ordentlich grimmig, weil er der gleichfort und bündig redenden Priesterin nicht irgend ins Wort fallen und ihr den Mund stopfen konnte. Nun erschien für ihn der gar so ersehnte Moment, und er konnte nicht tief genug Atem schöpfen, um der Priesterin so recht zentnerschwere Gegenbeweise mit aller Kraft und Kürze entgegenzudonnern.

14] Als er mit dem Atem einmal glücklich in der Ordnung war, so sagte er mit einer sehr bedeutungsvollen Miene (der Schriftgelehrte):”Höre, du höchst lebens- und gottlose Minerva von einer Priesterin! Hast du als eine so überaus weise Heidin das römische Sprichwort niemals vernommen, das also lautet: 'Quod licet Jovi, non licet bovi! ('Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt.')“?

15] Sagte geschwind die Priesterin: ”Lieber Freund, willst du das auf mich oder auf dich in Anwendung bringen? In der gegenwärtigen Lage aber scheint es wahrlich auf dich mehr zu passen denn auf mich; denn mir sei es wohl ferne, je mit einem ungewählten und ungeprüften Worte jemanden beleidigen zu wollen, - was bei dir nun soeben doch der Fall zu sein scheint. Wenn es einen Jupiter gibt, dann wird schon er Sorge tragen, daß seine Sache ihm der Ochs nicht nachahmen wird; gibt es aber keinen Jupiter, dann steht der Ochse offenbar, als wenigstens daseiend, höher denn der nicht daseiende Gott. Wahrlich, Freund, wenn in solchen hierher höchst unpassenden Mottos deine ganze Weisheit besteht, dann möchte ich deine Lehrer wohl gekannt haben! Die müssen sich beim Sonnenlichte eben nicht gar zu ästhetisch ausgenommen haben! Weißt du mir vielleicht noch mehrere solche Sprüche vorzubringen?“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 6  |   Werke Lorbers