Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 43. Kapitel: Agrikolas Frage nach dem Wesen Raphaels. Segen der Geduld.

01] Als die drei in den Speisesaal traten, wollte unser Lazarus uns gleich nach aller Länge und Breite zu erzählen anfangen, was sich draußen, namentlich mit den Griechen, alles zugetragen hatte.

02] Aber Ich Selbst sagte zu ihm: »Bruder, erspare dir diese Mühe; denn siehe, wir wissen ganz bestimmt um gar alles! Die etlichen dreißig Griechen sind offenbar ein guter Fund für unsere Sache; aber sie müssen erst vollends zurechtgebracht werden. Die harten heidnischen Zweifelssteine müssen erst also aufgelöst werden, wie Mein Raphael die harten Steine in ihren Händen völlig zunichte gemacht hat; dann wird es sich schon auch mit ihnen machen, und sie werden in ihrem Lande für Meine rechten Jünger ganz brauchbare Vorläufer werden. - Doch nun setzt euch an die Tische und esst und trinkt!

03] Wenn ihr gestärkt sein werdet, dann wollen wir hinausgehen, und ihr sollt bis gen Mitternacht hin so manches aus dem Bereiche der Herrlichkeit Gottes zu Gesichte bekommen; denn nun seid ihr schon bis auf sehr wenige dahin reif geworden, um höhere, göttliche Offenbarungen ertragen zu können, und diese Nacht soll uns so günstig sein, wie nicht bald wieder eine zweite.«

04] Auf diese Meine Worte beeilten sich alle mit der Zusichnahme des Abendmahls; denn es waren auf diese Meine Rede denn doch alle Anwesenden schon zu sehr gespannt, was am Ende da noch alles zum Vorschein kommen werde.

05] Es trat aber nun Agrikola zu Mir und fragte Mich, sagend: »Herr und Gott, sage mir nun doch einmal, wer denn so ganz eigentlich dieser wunderbare Jüngling ist! Ich fragte Dich schon einmal darum, und Du beschiedest mich darauf, daß ich ihn von selbst mit der Weile erkennen werde. Aber bis jetzt habe ich aus mir selbst noch nicht klug werden können, was ich eigentlich aus ihm machen soll. Er ißt und trinkt wie wir, und eigentlich in einem bedeutend größeren Maße, bei welcher Gelegenheit er denn auch ein völlig menschliches Aussehen bekommt. Aber ganz anders sieht es dann mit ihm aus, wenn er redet, wirkt und handelt; denn da versteht er durchaus keinen Scherz und leistet dabei Wunderdinge, vor denen man als ein nur ein wenig schwacher Mensch und doch dem Priesterstande so halbwegs angehörend - das heißt, was unser römisches, besseres Priestertum betrifft - rein zunichte werden muß.

06] Denn ich habe eben in meiner hochstaatsamtlichen Wirkungssphäre hauptsächlich alles Priestertum im ganzen großen römischen Kaiserreich zu überwachen und habe mir bei solcher Gelegenheit auch die genaue Kenntnis aller Gotteslehren, die im ganzen Reiche gang und gäbe sind, verschafft, was schon aus dem erhellt, daß ich mich auch in der Judenlehre ganz genau habe unterrichten lassen. Als ein solcher Mensch aber, wie ich einer bin, vor dem alle Geheimnisse aufgeschlossen werden müssen, habe ich denn auch schon so manches auf dieser Erde kennengelernt und habe hie und da alte und auch junge Menschen von gar besonderen Talenten und Fähigkeiten gesehen und kennengelernt, wobei mir denn auch mein eben nicht geringer Verstand tagelang stehenblieb.

07] Doch es war das alles rein nichts gegen diesen Jüngling, dessen äußeres höchst mädchenhaftes Aussehen nach unserer Römerkritik im Grunde oben gar selten das Zeichen eines großen Geistes ist. Die sogenannten Adonisse und die Venusse sind bei uns stets für die geistlosesten Menschen angesehen worden, und Ausnahmen gab es nur sehr wenige darunter. Und dieser junge Mensch ist bei weitem der allerschönste, der mir je unter die Augen gekommen ist. Wenn er weibliche Kleidung anhätte, so wäre er bei weitem die schönste Jungfrau auf dem ganzen Erdenrund. Und dennoch besitzt der Mensch einen so göttlich großen Geist, daß ihm so wie Dir Selbst, o Herr und Meister, rein alles möglich ist. Du siehst es, o Herr, daß ich nun meine Wißbegierde über diesen sonderbaren jungen Menschen nicht mehr unterdrücken kann, und so magst Du es mir ja wohl endlich sagen, was es mit diesem Jungen für eine Bewandtnis hat!«

08] Sagte Ich: »Freund, wenn Ich so wie ihr Menschen mit irgendwelchen Schwächen behaftet wäre, so würde Ich dir ganz geradeheraus sagen, was es mit diesem Jünglinge für eine Bewandtnis hat; aber da Ich durchaus keine menschlichen Schwächen besitze und in Meinem Geiste von Ewigkeit her wohl einsehe, was jedem Menschen in seiner Seelenbildungssphäre am heilsamsten ist, so sage Ich nie zu jemandem ein Wort, das Ich ein paar Tage darauf nicht mehr halten möchte, und so bleibt es bei dem, daß du den jungen Menschen aus dir selbst noch ganz gut und klar erkennen wirst.

09] Du hast ja auch gehört, wie die Geduld auch ein Urgeist Gottes im Menschen ist und gleich allen andern sechs Geistern gestärkt und ausgebildet werden muß, so ein Mensch zur wahren, inneren Lebensvollendung gelangen soll. Und so will Ich es hier auch bei dir haben, daß deine Geduld deinen oft zu isoliert übertriebenen Ernst und Eifer etwas mäßigen soll. Und siehe, aus diesem sehr triftigen Grunde sage Ich dir denn das auch nicht, was du nun gar so dringend gerne wissen möchtest; denn die Geduld ist dem Menschen das, was ein sanfter Regen der Erde ist. Sie sänftigt die brennenden Begierden im Menschenherzen, auf daß sie nicht in wilde, stürmische und oft alles verheerende Leidenschaften ausarten. Wenn du das so recht verstehst, so finde dich nur in der Geduld zurecht, und es wird dir dann schon alles werden, wonach du einen edlen Durst in deiner Seele fühlst.«

10] Sagte der Römer: »Ja Herr, Meister und Gott, Dir kann auch der weiseste aller Menschen der ganzen Erde nichts einwenden, weil Du die ewige Liebe, Weisheit und Wahrheit Selbst bist, und also hast Du auch hier recht; denn ein Gott, der mit Sich handeln ließe wie ein griechischer Früchtekrämer, wäre kein Gott, sondern auch nur ein schwacher und wetterwendischer Mensch, - und wer könnte sich da wohl verlassen auf eines schwachen Gottes Verheißung?!«

11] Sagte Ich: »Siehe, da hast du wieder völlig wahr gesprochen! Bleibe in dem und übe dich in der gerechten Geduld, so wirst du am ehesten zum Lichte des inneren Lebens gelangen! Habt ihr Römer doch auch von alters her ein gutes Sprichwort ersonnen, nach dem man mit Weile eilen (lat.: festina lente) soll, und das ist soviel wie "sich in der Geduld üben". - Doch nun gehen wir allesamt ins Freie, allwo ihr vieles erfahren sollt!«



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