Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 70. Kapitel: Vom Wesen der Luft.

01] (Raphael:) »Als ich als Mensch viele Jahre einen Leib bewohnte, da ward ich durch die Gnade des Herrn dieses inneren Lebensweges inne und beging ihn mit stets größerer Beharrlichkeit. Dadurch geschah es in meiner letzten Zeit, daß mein Geist und meine Seele eins wurden, und es ward mir die volle Macht auch über meinen irdischen Leib, so daß ich ihn dann ebenso plötzlich auflösen konnte, wie ich nun den Stein und vorher meinen dir fühlbaren Leib aufgelöst habe und von ihm nur so viel behielt, daß du mich mit deinen fleischlichen Augen noch sehen konntest.

02] So ich nun aber wieder einen Leib dir gleich haben will, so darf ich nur wollen, und der Leib wird auch wieder dasein. Sieh, ich will das, und du fühle mich jetzt wieder an, und du wirst mich wieder also fest finden, wie ich ehedem war!«

03] Der Römer tat solches und fand, daß Raphael wieder ganz Mensch war wie zuvor.

04] Da fragte er (Agrikola) den Engel und sagte: »Als du, als ein vollendeter Mensch auf Erden seiend, deinen Leib aufgelöst hattest, konntest du dir ihn auch wieder zurückerschaffen?«

05] Sagte Raphael: »Das sicher so wie jetzt; aber ich wollte das nicht, weil ein rein geistiges, körperfreies Sein ein endlos vollendeteres ist als ein mit irgendeinem Körper - wenn auch durch den eigenen Willen - gebundenes. Siehe, in diesem Leibe kann ich weniger wirken als ohne ihn! So du mich aber wirken siehst Wunderbares, dann ist der Leib schon fort und wird erst nach der Tat wieder geschaffen. Ich vermag zwar auch im Leibe alles, doch nicht so vollkommen wie außer dem Leibe. - Hast du noch Fragen, so gib sie von dir, und ich will sie dir beantworten!«

06] Sagte Agrikola: »Oh, Fragen hätte ich noch in großer Menge vorrätig! Könntest du denn durch die Beharrlichkeit deines Willens auch einen Teil der freien Luft in irgendeine Materie verwandeln?«

07] Sagte der Engel: »Allerdings; denn fürs erste ist die Luft schon Materie und enthält alle erdenklichen Stoffe in sich und kann darum um so eher in jede beliebige Materie verwandelt werden, und fürs zweite steht es meinem Geiste wahrlich frei - und das im höchsten Grade -, meinen Willen da im vollsten Maße wirkend auftreten zu lassen und somit die Luft, die du mir anzeigst, augenblicklich in irgendeine Materie zu verwandeln. Sage mir nun nur an, in was ich die Luft verwandeln soll!«

08] Sagte Agrikola: »Freund, das überlasse ich deinem besten und weisesten Ermessen! Tue, was du willst, und mir wird nun schon alles recht sein!«

09] Sagte der Engel: »Nun gut denn! So soll nun die Luft, die vor uns weht, in der Ferne von zwölf Schritten vor uns im Augenblick in eine fünf Mannshöhen hohe und bei einer Mannslänge im Durchmesser starke und vollkommen runde Säule sich gestalten! Es sei! Und nun gehe hin und untersuche die schon stehende Säule, ob sie noch Luft oder ob sie wohl eine festeste Granitsäule ist!«

10] Hier gingen alle Römer hin und untersuchten die Säule.

11] Und alle sagten: »O Wunder der Wunder! Es ist erstaunlich über erstaunlich! Es ist wahrlich die allerfesteste Granitsäule, wie wir selbst in Rom keine ähnliche nachzuweisen haben! Ja, ja, im reinen Geiste ist das Wesen, und alle Materie ist nur eine Folge der Beharrlichkeit des freien Willens eines reinen Geistes!«

12] Hierauf sagte der Engel: »Für wie schwer haltet ihr wohl diese Säule?«

13] Sagte Agrikola: »Ja, Freund, das wäre für uns wohl sehr schwer zu bestimmen! Aber beiläufig kann man das schon annehmen, daß diese Säule ganz sicher hunderttausend Pfunde schwer sein dürfte, und tausend Männer würden sie kaum bewältigen.«

14] Sagte der Engel: »Da hast du ein ziemlich richtiges Urteil gefällt! Und dennoch sage ich dir, daß es mir als einem reinen Geiste ein gar leichtes diese schwere Säule so hoch, wie du es nur immer haben willst, bloß durch meinen Willen in die Höhe zu heben. Bestimme die Höhe oder bestimme mir die Entfernung, wohin ich sie bloß durch meinen Willen von dannen heben soll, und es wird auch das alsogleich bewerkstelligt werden!«

15] Sagte Agrikola: »Nun, so du das schon gerade also haben willst, da sage ich: Hebe die Säule hundert Mannshöhen gerade in die Luft empor, und stelle sie dann dorthin auf das Feld, das sich gerade in der halben Ferne gen Emmaus befindet!«

16] Sagte der Engel: »Ganz gut, es geschehe das alles alsogleich!«

17] Als der Engel solches kaum noch ausgesprochen hatte, da befand sich die Säule schon in der verlangten Höhe in der Luft, und bald darauf sah man sie im Felde gen Emmaus stehen.

18] Nun aber war es auch schon völlig aus bei allen und natürlich schon ganz besonders bei den Römern; denn sie konnten sich darüber alle nicht genug verwundern.

19] »Aber«, sagte der Engel, »wie könnt ihr euch denn darüber gar so sehr verwundern? Ist denn einem reinen Geiste irgend etwas unmöglich? Es beruht alles ja auf dem festen Willen eines reinen Geistes! Wenn wir reinen Geister Erden. Sonnen und aller Art Zentralsonnen im Raume umherzutragen imstande sind und am Ende sogar ganze Hülsengloben, wie sollte es mir und allen reinen Geistern dann nicht noch ein leichteres sein, solch eine Säule im Moment dahin zu schaffen, wohin man sie will? Wer mit Löwen wie mit Fliegen spielen kann, dem werden die Mücken sicher auch kein Bangen verursachen!«



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