Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 125. Kapitel: Zweifel des Magiers über das Gleichnis von den Pfunden.

01] Sagte der Magier: »Herr, da bin ich nun auf einem Punkte, bei dem der Verstand einem Menschen die Dienste versagt und sich sogar dem Geduldigsten die Haare gen Berge zu sträuben anfangen! Du bist doch der König nicht, der da als ein Tyrann nimmt, dahin er nichts gelegt, und ernten will, wo er nicht gesät hat?! Denn mir kommt es nun vor, daß eben von Dir alles herstammt, und daß eben Du allenthalben gesät hast und darum auch überall nehmen und ernten kannst, weil alles Dein ist und auch Dein sein muß.

02] Daß die Frevler gezüchtigt werden, das finde ich ganz in der besten Ordnung; denn es ist da eben die göttliche Langmut unerträglich, durch die der Böse immer mehr Zeit und Raum für die Zustandebringung seiner Greuel gewinnt, während der ganz ordentliche Mensch in ein stets größeres Elend versinkt, am Ende allen Glauben verliert und genötigt ist, das ihm anvertraute Pfund im Schweißtuche seiner Not dem strengen und unbarmherzigen Herrn unbeschädigt und ehrlich wieder zurückzustellen. Ja, in solcher Hinsicht und Beziehung ist es freilich wohl besser, ein Berufener denn ein Knecht zu sein!

03] Es ist schon ganz recht, daß der tätige Knecht auch nach seiner Tat belohnt wird; aber daß der etwas trägere und furchtsamere Knecht für die unbeschädigte Rückgabe seines Pfundes ganz leer ausgehen muß, das kommt mir von Deinem Könige sehr hart vor!

04] Ich bin ein Menschenfreund und kann niemanden leiden sehen, besonders wenn er seine Leiden nicht als irgendein Erzbösewicht wohl verdient hat. Der Knecht mit dem einen Pfunde, der es im Schweißtuche wieder also dem Herrn anheimstellte, wie er es empfangen hatte, hat offenbar nicht die Einsicht und den Verstand des ersten gehabt, auch nicht einmal des zweiten, der mit dem einen Pfunde die fünf Pfunde gewonnen hat. Denn hätte auch er den gleichen Verstand gehabt, so hätte auch er zehn oder wenigstens fünf Pfunde gewinnen können; aber aus Mangel an Licht, an rechtem Verstande und am dazu geeigneten Mute hat er sich aus dem einen Pfunde nichts anderes zu machen getraut, als es seinem Herrn ganz unversehrt wieder zurückzustellen. Ich finde in diesem Handeln wahrlich noch nichts Verbrecherisches, und ich möchte Dich sehr fragen, was dann weiter mit diesem Knechte, den sein König einen Schalk nannte, geschehen ist.«

05] Sagte Ich: »Der blieb denn, was er ehedem war: ein ganz einfacher und gewöhnlicher Knecht, weil er aus sich heraus für eine höhere Dienstaufgabe keine Fähigkeit besaß! Denn auch ein Auserwählter bekommt nur gleich einem jeden andern Menschen die Fähigkeit oder das Talent, das er dann selbst auszubilden hat, damit sein freier Wille keinen Schaden leide.

06] Wer ein solches ihm verliehenes Talent mit allem Fleiße ausbildet, der hat dann auch den rechten Schatz, zu dem ihm noch immer mehr hinzugegeben wird; wer es aber nicht ausbildet und sich von seiner Trägheit nicht losreißen will, der hat es sich dann nur selbst zuzuschreiben, wenn er am Ende samt seinem im Schweißtuch aufbewahrten Pfunde noch dümmer wird als jene, die da nicht wollten, daß der König des Lichtes über sie herrsche.

07] Darin liegt dann der Grund, daß solche trägen Knechte nicht weiterkommen und die berufenen Diener in ihrer Nacht liegenbleiben und es für sie am Ende nichts Ärgeres geben kann, als wenn sie der Lärm des hellsten Tages aus ihrem trägsüßen Schlafe weckt. Oder sollte etwa die Sonne vorher Boten zu den Langschläfern senden und sie fragen, ob es ihnen angenehm sei, daß sie über die Berge heraufsteige?! Sieh, das wird die Sonne infolge der allgemeinen die Welten erhaltenden Ordnung ebensowenig tun, als es der König des Lichtes und des Lebens tun wird!

08] Wer das Pfund überkommt, der hat schier auch die Ordnung des Königs überkommen. Das Sich-danach-Richten liegt im freien Willen des Knechtes, und der König ist da nicht schuld an der Trägheit des Knechtes, sondern der Knecht selbst, weil der König des Lichtes es nur zu gut weiß, welche Fähigkeiten er einem Knechte verliehen hat. Und so ist da allzeit der König und nie ein fauler und träger Knecht in seinem wahren und durchaus nicht etwa eingebildeten Rechte.

09] Denke du nun darüber reiflich nach, fasse das Bild wohl auf und sage Mir dann, ob der König hernach noch ein unbarmherziger Tyrann ist! - Hast du Mich aber nun auch wohl verstanden?«

10] Sagte der Magier: »Ja, das o Herr, habe ich nun wohl verstanden, und Dein aufgestelltes Gleichnis hat dadurch eine volle Lichtseite erhalten, während es als ein pures Bild schwer zu verstehen war. Wer demnach irgendein besonderes Talent in sich verspürt, der soll es mit allem Fleiß ausbilden, und das einmal wie durch und aus sich selbst. Hat er das getan, so wird er das Weitere schon von dem Könige des Lichtes erhalten und wird sodann ein wahrer Lehrer vieler Menschen, die Du als Berufene bezeichnet hast, werden können. Denn wer einmal schon für sich ein rechter Lehrer war, der wird es dann auch für viele andere leicht werden und sein; wer aber schon für sich selbst träge war, der wird es dann auch um so mehr für andere sein, und er wird auch nichts haben, was er seine Nebenmenschen irgend lehren könnte, und es ist darum höchst wahr und richtig, daß dem, der da hat, noch vieles hinzugegeben wird, auf daß er dann in der Fülle habe. Wer aber nicht hat, dem wird auch noch das, was er hatte, genommen werden. Das ist mir nun völlig klar, - doch steckt dahinter noch ein gewisses Etwas, das mir noch nicht so recht einleuchten will, und ich nehme mir darum die Freiheit, vor Dir, o Herr, solchen meinen noch dunklen Anstand auszusprechen.

11] Siehe, es ist der rechte Fleiß und Eifer in allem Guten und Wahren eine nie genug zu lobende Tugend und die Trägheit ein Fundament aller möglichen Laster! Aber wer gibt einem Menschen den Fleiß und den Eifer und wer einem andern die Trägheit? Ich meine, daß weder das eine noch das andere vom Menschen selbst errungen, sondern ihm das nur von einer höheren, göttlichen Willensmacht gegeben werden kann.

12] Ich selbst habe mehrere Kinder und habe bei ihnen die Erfahrung gemacht, daß ein paar unter ihnen, und das mein ältester Sohn und eine Tochter, ohne mein Antreiben im Erlernen der Künste und Wissenschaften außergewöhnlich fleißig sind, während die anderen Kinder faul und träge sind und zum Lernen mit allem Ernste angehalten werden müssen. Es sind das ja doch Kinder von gleichen Eltern, haben alle eine gesunde Natur, genießen auch den gleichen Unterricht, und dennoch ist sowohl in ihren Talenten und noch mehr in ihrem Erlernungseifer ein großer Unterschied. Wo liegt denn da der Grund? An uns Eltern kann es nicht liegen, weil wir ein jedes unserer Kinder ganz gleich behandeln und keines irgend verzärteln; an unserer und der Kinder natürlichen Leibesgesundheit kann es auch nicht liegen, denn - nun Dir, o Herr, allen Dank! - wir sind vollkommen gesund und kräftig, und wir alle genießen auch stets die gleiche Kost: und doch diese sehr merklichen Unterschiede in ein und derselben Familie! Wie soll ich mir nun das erklären?«



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