Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 110. Kapitel: Jesus befreit gefangene Kinder aus den Händen römischer Soldaten.

01] Wir zogen von da noch bei dreitausend Schritte ganz schweigsam vorwärts und ersahen den Zug Soldaten mit ihren Waffen die Heerstraße, die hier über eine Anhöhe führte, herein ziehen. Sie machten viel Lärm, wie es bei ihnen üblich war, und wühlten mit ihren Füßen den Straßenstaub so auf, daß mit ihnen auch eine ordentliche Staubwolke einherzog.

02] Da meinte Agrikola, daß wir von der Straße etwa so ein wenig abbiegen sollten, weil derlei rohe Kriegsknechte, die bei solchen Märschen nicht selten betrunken seien, mit den ihnen in den Weg kommenden Wanderern eben nicht gar zu freundlich umzugehen pflegten.

03] Sagte Ich: »Da hast du wohl ganz recht; aber da seid ihr Römer wohl selbst schuld daran, daß eure Kriegsknechte gar so rohe und wilde Menschen sind! Gebet Ihnen nebst dem Unterricht im Gebrauch der Waffen auch den Unterricht, daß sie Menschen werden, und sie werden sich dann auch als solche betragen!«

04] Agrikola und auch die anderen Römer merkten sich diese Meine Bemerkung, und als der wilde Zug in unsere Nähe kam, bogen wir denn auch einige Schritte vom Wege ab. Aber es nützte uns das wenig; denn die Führer hießen die Kriegsknechte haltmachen, gingen dann ganz keck auf uns los und fragten uns, wer wir wären und wohin wir zögen, und in welchen Geschäften und Angelegenheiten.

05] Da trat Agrikola vor und sagte zum ersten Führer: »Kannst du lesen?«

06] Sagte dieser (der Führer): »Ohne das wäre ich kein Oberführer!«

07] Hier zog Agrikola eine Pergamentrolle aus einer Tasche, die er bei sich trug, und wies sie dem kecken Führer vor. Als dieser ersah, was in der Rolle stand, da erschrak er und entschuldigte sich.

08] Aber Agrikola bedrohte ihn und verwies ihm sein tumultuarisches Benehmen mit scharfen und sehr eindringlichen Worten.

09] Da zogen sich die Führer gleich in aller Ruhe und Ordnung zurück.

10] Agrikola und die andern Römer aber traten darauf zu der Schar der Krieger und untersuchten sie, wie sie sonst geordnet und bestellt wäre. Da fanden sie aber in der Mitte der Schar etliche junge Mädchen und auch zwei Jünglinge, deren Hände auf den Rücken gebunden waren.

11] Als die Römer solches mit starker Entrüstung bemerkt hatten, da fragten sie sogleich die Führer, was dieses zu bedeuten hätte, ob diese Menschen irgendeines Verbrechens schuldig seien, und welcher Nation sie angehören.

12] Die Führer wurden sehr verlegen und wußten nicht, was sie dem strengen und hohen Römer für eine Antwort geben sollten.

13] Da fingen aber die Mädchen und die beiden Jünglinge den Agrikola in hebräischer Zunge weinend zu bitten an, daß er sie aus der Gewalt dieser rohen und grausamen Krieger befreien möchte; denn sie seien Kinder ganz ehrlicher Eltern in der Nähe von Bethlehem, hätten diesen Kriegern nichts zuleide getan, und ihre Eltern, die dort eine Herberge hätten, hätten alle diese Krieger nach ihrem Verlangen wohl bewirtet mit zehn Schläuchen Wein und mit dreißig Brotlaiben und hätten am Ende für das Verlangte nicht mehr als siebzig Groschen begehrt.

14] (Die Gefangenen): »Da wurden aber diese Soldaten so böse und zahlten nicht nur nichts, sondern verlangten von den Eltern noch als eine Strafe für das, daß eben die Eltern es gewagt hatten, von den Soldaten die siebzig Groschen zu verlangen, über tausend Groschen. So viel Geld aber hatten die Eltern nicht, und sie baten diese Krieger um Vergebung und Nachsicht. Aber da half kein Bitten und Flehen; die Eltern wurden daheim im Hause mit Stricken an die Türpfosten fest angebunden. Darauf fingen die Grausamen uns sieben Kinder zusammen, banden unsere Hände auf den Rücken und trieben uns mit ihnen fort also, wie ihr hohen Herren uns nun da seht. Was sie mit uns vorhaben, das wissen wir unmöglich; daß sie mit uns aber sicher nichts Gutes vorhaben, das können wir uns wohl denken. O ihr lieben und großen Herren! Befreit uns doch um Jehovas willen von diesen Wüterichen!«

15] Hier fing Agrikola vor Zorn ordentlich zu glühen an, befahl, die sieben Kinder augenblicklich freizulassen - was auch sogleich geschah -, und sagte dann zu den Führern: »So beschützt ihr als Römer die Rechte unserer Untertanen? Wisst ihr nicht, wie die Hauptregel, die ein jeder Krieger beschwören muß, lautet? Diese lautet: "Lebe ehrenhaft, beleidige niemand ohne Grund; wer dich aber beleidigt, so du nach dem Gesetze handelst, der soll vor ein Gericht gestellt werden!" Und am Ende heißt es: "Gib und laß einem jeden das, was sein ist!" Habt ihr da nach dieser alten Hauptregel gehandelt? Wer hat euch das Recht erteilt, auf dem Marsche von einem Ort in den andern die Herbergen zu brandschatzen, die unsere Untertanen sind und unter dem Schutze unserer Gesetze stehen?«

16] Die Führer erblaßten, denn sie kannten die unerbittliche Strenge des ihnen schon lange bekannten Staatsmannes und baten ihn um Gnade.

17] Agrikola aber sagte: »Diese Kinder und ihre Eltern haben euch auch um Gnade und Erbarmen gebeten! Habt ihr den Unschuldigen keine Gnade und kein Erbarmen bezeigt, wie wagt ihr Frechen nun, mich um Gnade anzuflehen! Ich werde euch als gemeine Räuber und Mörder behandeln lassen und diese Kriegsknechte zu den gemeinsten Galeerensklaven machen! Jetzt kehrt um, und zieht vor uns nach Bethlehem! Dem Obersten werde ich die Weisung geben, was mit euch, ihr Elenden, zu geschehen hat!«

18] Hierauf trat Ich zu Agrikola hin und sagte zu ihm: »Freund, du hast nun ganz wohl getan, daß du erstens diese Kinder befreit hast, und zweitens, daß du diese betrunkenen Soldaten mit deiner Sentenz völlig nüchtern gemacht hast. Aber die eigentliche Schuld an ihrer Roheit tragen nicht so sehr sie selbst, als der, der sie nach Galiläa beordert hat. Der behielt das kaiserliche, für diese Schar bestimmte Zehrgeld für sich und erlaubte ihr, daß sie sich auf dem Marsche umsonst in den Herbergen und auch bei den Landleuten ihren Bedarf verschaffen kann, entweder mit Güte oder mit Gewalt. Du weißt aber, daß eure Krieger, so sie von ihren Vorgesetzten zum Plündern eine Erlaubnis bekommen, da keine Schonung kennen und den Löwen, Tigern und Hyänen gleichen; daher ist hier das Vergehen dieser Krieger bei weitem geringer, als es dem Anschein nach erscheint.

19] Der Hauptfehler und der eigentliche Grund von solchen Übergriffen aber liegt in eurem zu unbedingten Vertrauen auf eure Feldherren und Obersten. Ihr verseht sie mit allen möglichen Generalvollmachten, denen zufolge dann ein jeder in seinem Bezirk einen förmlichen Kaiser spielt und tut, was er will, ohne sich viel um Roms allgemeine Gesetze zu kümmern, da er selbst in seinem Bezirk nach seiner Laune und Willkür Gesetze geben kann und darf.

20] Ist hier und da ein Oberster von Natur aus ein guter und gerechter Mensch, so werden die ihm untergebenen Bezirke auch gut zu leben und handeln haben; ist aber ein Oberster irgend zu sehr auf seinen Privatvorteil bedacht, da wehe allen denen, die unter der Macht seines Schwertes stehen! Und sieh, das ist nun eben hier in dem großen Bezirk Bethlehems der Fall!

21] Der gegenwärtige Hauptmann, der die höchste Macht von euch aus in seinen Händen hat und ganz so handelt, wie es ihm von Rom aus gestattet ist, ist auf seinen Vorteil bedacht und macht denn auch solche Anordnungen, bei denen er sicher nie zu kurz kommt; aber das Volk wehklagt und verflucht im Herzen die römische Oberherrschaft und Tyrannei. Die Sache verhält sich ganz genau also, wie Ich sie dir nun dargestellt habe, und es fragt sich nun, wer bei dieser Handlung zur eigentlichen Strafe zu verurteilen ist.

22] Siehe, Ich wußte wohl darum, daß hier in der Nähe von Bethlehem das vor sich gehen wird und zog mit euch denn auch eben deshalb hierher, auf daß hier diesem Übel möge abgeholfen werden; aber es muß dort geholfen werden, wo eigentlich der Fehler steckt! Denn hier mit der Bestrafung dieser Soldaten wird niemandem etwas geholfen sein; gib ihnen einen Verweis, eine ordentliche Vorschrift, wie sie sich in der Folge benehmen sollen, und lasse ihnen ein Zehrgeld für die Reise nach Galiläa zukommen, und sie werden dann ganz in der Ordnung an den Ort ihrer Bestimmung gelangen!

23] Dem Hauptmanne, den wir heute mittag in derselben Herberge, von der diese Kinder sind, treffen werden, aber nimm die Generalvollmacht, und gib ihm Gesetze, und es wird dann alles in der Ordnung sein!«

24] Sagte hier Agrikola: »Ja, ja, Herr und Meister, Du hast auch hier schon wieder ganz vollkommen recht, und ich werde auch ganz nach Deinen Worten die Verfügungen treffen! Doch vor allem sollen wir uns nun beeilen, in die Herberge zu kommen, und die Eltern dieser lieben Kinder von ihrer Qual und Not befreien.«

25] Sagte Ich: »Dafür ist schon gesorgt; denn die Nachbarsleute haben ihnen den Gefallen erwiesen, und sie sind nun in die Stadt zum Hauptmann gegangen, die Anzeige wegen ihrer Kinder zu machen, auf daß ihnen diese wieder zurückgegeben werden möchten. So wir in die Herberge kommen werden, da werden auch die Eltern dieser Kinder zurückkommen.

26] Der Hauptmann wird ihnen Recht widerfahren lassen, wird dieser Schar einen Reiter nachsenden, dem sie die Kinder unversehrt zu übergeben hat, und wir dürfen nun nicht zu lange mehr harren, so wird der Reiter auch schon hierher kommen; diesem aber gib dann du die Weisung an den Hauptmann, daß er um die Mittagszeit in der Herberge zu dir zu kommen habe, und so werden wir ihn denn auch in der Herberge schon antreffen, so wir hinkommen werden. Die Kinder aber werden wir mit uns nehmen.«

27] Die Führer aber vernahmen, was Ich mit Agrikola gesprochen hatte, und sahen, daß er sich nach Meinen Worten richtete, und sie wollten vor Mir nieder fallen und Mir danken.

28] Ich aber sagte zu ihnen: »Nur dieses Mal habe Ich euch gerettet; wenn ihr aber andernorts euch abermals so benehmen werdet, wie ihr euch in der Herberge benommen habt, dann werdet ihr nicht mehr gerettet werden. Nun aber wartet hier, bis ihr abgefertigt werdet, und zieht dann ruhig und in der Ordnung weiter!«

29] Für diese Meine Worte dankten sie Mir und nannten Mich einen großen Weisen, dessen Wort mächtiger sei denn die sonst so unerbittliche Strenge des hohen und mächtigen Agrikola; auch nannten sie Mich den Gerechtesten aller Gerechten, und sie und auch ihre Schar lobten Mich laut.

30] Darauf gab ihnen Agrikola eine Anweisung, mittels welcher sie in Bethanien zu verweilen hatten, bis er zurück kehren werde, und Brot und Wein zu bekommen hatten nach rechtem Bedarf, was dann er bezahlen werde, und daß er auch für das weitere Zehrgeld sorgen werde, gebot ihnen zugleich auf das strengste, sich gut und ordentlich zu betragen, was sie ihm denn auch feierlichst gelobten. Darauf befahl er ihnen, weiter zu ziehen. Sie ordneten sich, dankten Mir noch einmal und setzten sich in Bewegung.



Home  |    Index Band 8  |   Werke Lorbers