Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 137. Kapitel: Raphael bekennt sich als Geist.

01] (Raphael:) »Wie aber kann ein Mensch schon auf dieser Welt in diesen Zustand des Lebens gelangen?

02] Der Mensch muß das Wort Gottes, in welchem Er dem Menschen treu Seinen Willen offenbart, einmal mit freudigem, dankbarem und willigem Herzen und Verstande annehmen. Dadurch legt er schon das wahre Lebensweizenkorn in das fruchtbare Erdreich.

03] Darauf muß er aber auch ungesäumt nach dem Willen Gottes zu handeln anfangen. Dieses Handeln ist dann der belebende Regen, durch den der göttliche Geist in die Seele des Lebenskornes überzugehen bewogen wird. Nun heißt es dann zuerst in sich gehen durch die wahre Demut, durch die Geduld, Sanftmut, durch die wahre Liebe zum Nächsten und durch die rechte Barmherzigkeit. So ein Mensch lebendig und mit allem Eifer in diese Stücke eingeht, so geht er dadurch auch in seine eigenen Lebenstiefen und schlägt die geistigen Lebensnährwurzeln ins Erdreich der Gotteskraft, die solche Wurzeln dann gierig einsaugen und den Lebenshalm zum Gotteslichte emporzutreiben, zu bilden und zu vollenden anfangen. In diesem Zustande geht die Seele denn auch stets mehr in die immer lebendiger werdende Liebe zu Gott über, und zwar in dem Maße, als ihr Geist auch immer tätiger in die Seele übergeht.

04] Wenn des Menschen Lebenshalm auf diese Weise bis zur Ähre gediehen ist und die Seele sich ganz in der Liebe zu Gott und in ihrem Lebenslichte und in ihrer Lebenswärme befindet, so fängt sie damit auch an, selbst in ihren Geist überzugehen und völlig eins zu werden mit ihm. In diesem seligen Zustande wird die Lebenskornähre zuoberst am Halme ersichtlich und bildet sich nun im reinen Gotteslichte schnell aus bis zur Blüte; die Blüte aber zeigt dann die volle Liebe- und Lebenseinigung mit ihrem Geiste und also auch mit Gott.

05] Aus dieser Einigung entsteht dann die wahre Lebensfrucht, deren volle Reifwerdung erhaben ist über alles Irdische im vollen Lebenslichte Gottes. Daß ein Mensch sogestaltig sich denn da auch im hellsten Schauen und lebendigsten Innewerden über alles in aller Geisterwelt, wie auch in aller materiellen Schöpfung befindet, das wird wohl niemand bezweifeln, der das von mir nun Dargestellte, mit der Wachstumsordnung einer Pflanze vergleichend, nun mit einiger Aufmerksamkeit überdenkt. - Und nun habe ich geredet und dir steht das Recht zu, auch wieder zu reden.«

06] Sagte darauf voll Staunens der Hauptmann: »Höre, du mein junger, holdester Freund, du mußt sicher schon im Mutterleibe diesen Lebensweg zu betreten angefangen haben, ansonst es wohl nicht denkbar ist, daß ein Mensch in deiner Jugend sich in solch eine Lebenshöhe emporschwingen könnte! Doch sei das nun, wie es wolle; es ist genug, daß du dich in aller Lebensvollendung befindest. Aber wenn du einmal auch diesen deinen Leib ablegen wirst, wirst du alsdann als ein reiner Geist mit den Menschen dieser Erde so wie jetzt verkehren können?«

07] Sagte Raphael: »Allerdings, aber nur mit solchen, die sich durch ihren Lebenswandel nach der Lehre des Herrn in jenen Zustand werden erhoben haben, in welchem sie dafür befähigt sein werden!«

08] Sagte wieder der Hauptmann: »Hast du nun auch gar keine Furcht mehr vor dem Tode des Leibes?«

09] Sagte Raphael: »Wie möglich könnte ich diese haben, da ich ja schon ganz ins ewige Leben des Geistes aus Gott übergegangen bin und somit auch mein Leib in meiner Gewalt steht! Ich selbst kann diesen verwandeln, wann ich will, und kann mir ihn wieder schaffen, wie und wann ich will. - Glaubst du mir das?«

10] Sagte der Hauptmann: »Das wäre stark! Solches habe ich noch niemals vernommen! Kannst du mir darüber auch einen begreifbaren Beweis geben, und ich will dich darob sehr loben.«

11] Sagte Raphael, freundlich lächelnd: »Oh, damit kann ich dir schon dienen! Da greife nun meinen Arm an und befühle ihn, ob er Fleisch und Knochen hat!«

12] Der Hauptmann tat das und sagte: »Mein junger Freund, dein Arm ist stark und völlig männlich kräftig. Du hast feste Muskeln und starke Knochen.«

13] Sagte darauf wieder Raphael: »Damit du aber nun siehst und erfährst, daß ein Mensch, im höchsten und hellsten Schaugrade stehend, auch vollkommen ein Herr über seinen Leib ist, so fasse mich nun noch einmal am Arme und sage es mir, ob meine Muskeln noch so fest und meine Knochen noch so hart sind wie zuvor!«

14] Der Hauptmann tat das, griff aber den Arm des Raphael gleich also durch und durch, als wäre er ein pures Luftgebilde.

15] Da erschrak der Hauptmann und sagte: »Höre, du bist ein seltsames Wesen! Mir wird es nun fürwahr ganz unheimlich zumute! Ich sehe dich noch wie zuvor, und du hast keinen Leib mehr, sondern bist nun ein pures Luftgebilde und stehst vor mir wie ein Phantom. Ah, das ist stark, - das ist noch nie erhört worden! Man hat wohl schon davon gehört, daß es zu einer gewissen Zeit Magier gegeben habe, die sich hätten unsichtbar machen können, aber dabei doch ihre leibliche Festigkeit behielten; denn sie hätten dann etwa in ihrer Unsichtbarkeit doch große Lasten von einem Orte zum andern bewegen können. Du aber bist nun noch als ein vollkommener Mensch sichtbar und bist es dabei gewisserart nicht, und es fragt sich nun sehr, ob du nun als ein pures Luftgebilde noch jene Säule aufheben könntest!«

16] Sagte Raphael: »So gut und sicher wie zuvor! Aber damit du siehst, daß ich nun noch mehr vermag denn zuvor, so werde ich jene Säule mit meinen Armen gar nicht mehr berühren, sondern ich werde sie bloß mit meinem Willen aufheben, sie eine Zeitlang frei in der Luft halten und sie dann wieder auf ihren Platz hinstellen.«

17] Als Raphael solches noch kaum ausgesprochen hatte, da schwebte die Säule auch schon frei in der Luft, und dem Hauptmanne wurde nun noch ängstlicher zumute. Er wußte nun nicht mehr, was er dazu sagen sollte, und staunte bald die in der Luft schwebende Säule und bald wieder den Raphael an.

18] Erst als Raphael die Säule wieder an ihren alten festen Platz zurückstellte, da erst erholte sich der Hauptmann und auch seine Gefährten von ihrem Staunen, und er sagte: »Nein, jetzt ist meine Sprache zu Ende! Denn worüber einem Menschen alle natürlichen Gedanken und Begriffe völlig fehlen, da fehlen ihm auch Worte und die vernünftige Rede. Du solltest dich nun nur auch noch völlig unsichtbar machen können, so würde ich darüber sicher ein blödester Narr werden!«

19] Sagte nun Raphael: »Auch das könnte ich, so ich es nun wollte; aber damit du kein Narr werdest, so bleibe ich wieder als ein leibhaftiger Mensch. Ich habe es dir aber nun nur zeigen wollen, daß ein Mensch, der sich einmal im dritten und höchsten Schau- und Seinsgrade befindet, keinen Tod mehr vor sich hat, sondern ein ganz vollkommener und freiest selbständiger Herr über sein Leben und somit auch über seinen Leib und dessen Tod ist. In dem Grade aber, wie ich es nun bin, können es die Menschen auf dieser Erde wohl nur höchst selten und sehr schwer werden; denn es sind die meisten schon zu verweltlicht und haben danach auch zu wenig des festesten und beharrlichen Willens und lebendigen und ungezweifelten Glaubens. Wenn sie aber einmal werden ihren Unglauben abgelegt haben, dann werden sie, mir gleich, als reine und vollendete Geister das tun und bewerkstelligen können, was ich tue und bewerkstellige!«

20] Sagte hier schnell der Hauptmann: »Bist denn du schon ein reiner und vollendeter Geist?«

21] Sagte Raphael: »Allerdings, denn ein unvollendeter Geist kann das nicht tun und bewirken, was ich tue und bewirke.«

22] Sagte abermals der Hauptmann, der nun schon ganz verwirrt war: »Ja, können denn die ganz reinen und vollendeten Geister auch alle so essen und trinken wie du? Wozu das, wenn sie durch die irdische Kost keinen Leib zu erhalten haben?«

23] Sagte Raphael: »Wohnt in unserem Herrn und Meister nicht der allerhöchste Geist Gottes vollkommen, und Er nimmt doch auch die diesirdische Nahrung zu Sich? Wenn es dir möglich ist, irdische Kost zu dir zu nehmen, warum sollte es einem vollendeten Geiste, der auch durchaus ein Mensch ist, nicht möglich oder für ihn irgend zwecklos sein, auch dieser Erde Kost zu sich zu nehmen und sie in sich zu verkehren in sein Element?

24] Ist denn nicht alles, was dem Menschen zur Nahrung dient, Gottes Wort und Gottes Wille? So du, als noch ein Naturmensch, deinen Leib sättigest mit der Naturkost, da nimmt davon die Seele auch ihren substantiell geistigen Teil in sich auf und verwendet ihn zar Festigung ihrer Form; tut aber das die noch unvollkommene Seele, wennschon auf eine ihr unbewußte Weise, so wird das wohl auch ein sich seiner selbst höchst klar bewußter vollendeter Geist um so mehr tun können, da es ihm möglich ist, alle Materie plötzlich aufzulösen und in ihr Urgeistiges umzuwandeln. - Verstehest du das?«

25] Sagte der Hauptmann: »O du mein sehr sonderbarer und geheimnisvoller Freund, um das alles zu verstehen, dazu gehört mehr als der Verstand eines römischen Hauptmanns! Mir genügt es nun aber schon vollkommen, daß ich nur einmal vollkommen davon überzeugt bin, daß des Menschen Seele nach dem Leibestode fortlebt, und daß ich die Wege nun kenne, auf denen man sicher der stets helleren geistigen Vollendung entgegenschreitet; alles andere hat für mich nun einen geringeren Wert.

26] Du magst nun noch ein leiblicher oder auch ein schon lange leibloser, reiner und mächtiger Geist sein, so geht mich das weiterhin wenig an. Aber das geht mich an, daß durch einen rechten Lebenswandel auch ich das werde einst, was du nun schon bist, und was du an der Seite des Herrn und Meisters auch sicher leichter hast werden können, als ich es werde werden können; ich will aber auch zu deiner Höhe nicht hinaufklimmen und werde mit viel wenigerem auch schon ganz vollkommen zufrieden sein. Denn es ist einem jeden Menschen auch sicher schon von Gott aus nicht gegeben, daß es ihm möglich wäre, sich zu deiner Höhe emporzuarbeiten; aber ein jeder danke Gott auch um das, was Er ihm gegeben hat.

27] Ich danke aber nun auch dir für deine Liebe, Geduld und Mühe, die du mir zu meiner Belehrung erwiesen hast, und ich gebe dir dankbarst die volle Versicherung, daß ich mit dem, was ich von dir empfangen habe, mehr als vollkommen zufrieden bin.«

28] Sagte nun Raphael: »Und ich bin auch mit dir nun ganz zufrieden und will dir und auch deinen Gefährten, so noch jemand etwas wünschet, mich dienlich erweisen. Hat jemand noch etwas, so trete er hervor und gebe es vor allen kund!«



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