Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 200. Kapitel: Eine Probe der Macht des Erzengel Raphaels.

01] Sagte hierauf der Oberstadtrichter: »Höre, du mein himmlisch überweiser Freund, du hast mir nun durch deine Erklärung die Sache so klar gemacht, daß mir darüber wohl mein ganzes Leben hindurch keine weitere Frage übrigbleiben kann und wird, und aus deiner Weisheit, die der Weisheit des Herrn völlig ähnlich ist, erkenne ich auch, daß dir alles möglich ist, was dem Herrn Selbst möglich ist! Daher wird mir deine Hilfe mit Zulassung des Herrn bei jeder meiner Arbeit in Seinem Namen überaus wohl zustatten kommen.«

02] Sagte hierauf Ich zum Oberstadtrichter: »Nun, du Mein lieber Freund, wie gefällt dir Mein himmlischer Diener?«

03] Sagte der Oberstadtrichter: »Herr und Meister, er spricht ganz so, als wenn Du Selbst aus ihm heraus reden möchtest, und daraus erkenne ich denn überklar, daß er ein hoher Diener Deiner endlosen göttlichen Herrlichkeit und Majestät sein muß, und ich glaube denn auch ungezweifelt, daß er alles zu bewerkstelligen imstande ist durch Deine Weisheit und Deinen Willen in ihm, was Du Selbst zu bewirken und zu bewerkstelligen imstande bist - das heißt nach meiner menschlichen Weise beurteilt -; daß aber Deine Weisheit und Dein Wille sicher noch endlos tiefer und weiter um sich greifen werden, als da selbst der lichteste Verstand aller Deiner Engelsgeister erschauen und begreifen kann, dessen bin ich in mir auch vollkommen überzeugt!«

04] Sagte Ich: »Mein lieber Freund, das hat dir dein Fleisch nicht eingegeben, sondern dein jenseitiger Geist aus Mir; daher bestrebe du dich, dir auch Meinen Willen also zu eigen zu machen, wie du dir des Kaisers Willen zu eigen gemacht hast, und du wirst dann auch bald und leicht stets vollkommener eins werden mit deinem jenseitigen Geiste aus Mir, welcher da ist Meine Liebe, Weisheit und Macht, und du wirst dann auch also wirken können, wie dieser Engelsgeist - der "Raphael" heißt - zu wirken imstande ist! Was er aber alles imstande ist zu vollbringen, davon hast du jetzt freilich noch keine noch so matt schimmernde Idee; aber einige Proben werden dich darüber schon belehren.

05] Verlange du nun von ihm selbst - aber vernünftigermaßen -, was für ein Zeichen er vor euer aller Augen wirken soll, um euch allen einen Begriff zu verschaffen, was Meine Macht und Mein Wille durch ihn vermag, und er wird nicht sparen, dir und euch allen damit zu dienen!«

06] Sagte darauf der Oberstadtrichter: »O Herr und Meister, ich komme mir jetzt auf einmal in eurer Mitte so blöde und dumm vor, daß ich nun wahrlich nicht weiß, was für ein vernünftiges Zeichen ich mir von ihm erbitten solle! Da wäre es wohl besser, Du, o Herr und Meister, würdest ihm Selbst allergnädigst anzeigen, was er zur Erhellung unserer Begriffe über seine Macht bewirken möchte!«

07] Sagte Ich darauf: »O nein, mein Freund, das geht nicht an; denn dieser Mein Raphael ist ohnehin mit allem erfüllt, was Ich will und mag! Aber Ich ziehe darum Meinen besonderen Willen und Meine Macht zurück, auf daß er allein aus seinem ihm zu eigen gemachten Reichtum aus Mir wollen und wirken kann, wie er will und mag, auf daß du dadurch erst recht erkennest, was Mein Reich in allen Engeln und auch in den Menschen ganz frei wie aus sich selbständig zu bewirken imstande ist, ohne daß Ich dabei notwendig habe, alle Meine zahllosen Engelsgeister und auch die Menschen auf dieser Erde am Gängelbande Meines allmächtigen Willens zu führen; und so denn erwähle dir frei etwas, das dir gut dünkt, und sage es ihm, und er wird auch alsogleich ins Werk setzen, was du willst!«

08] Hier schwieg der Oberstadtrichter eine kleine Weile, rieb sich mit einer Hand seine Stirn und mit der andern kratzte er sich ein wenig hinter den Ohren, da er in sich noch nicht völlig einig werden konnte, mit was für einer so recht vernünftigen Petition er vor Mir und dem Raphael zum Vorschein kommen sollte. Endlich fiel ihm ein, daß Ich ihm versprochen hatte - noch im Hause des Wirtes -, daß diese an allem arme Steppengegend ergrünen und hervorbringen werde viel Gras, Getreide, Fruchtbäume und sogar den Weinstock, und er zeigte solches wörtlich dem Raphael an.

09] Und Raphael klopfte ihm freundlich auf die Achsel und sagte: »Mein lieber Freund und Bruder, damit hast du an mich ein wahrhaft allervernünftigstes Verlangen gestellt, und es soll deinem Verlangen auch alsbald Genüge geleistet werden!«

10] Sagte darauf der Oberstadtrichter, der sein Auge vom Angesichte Raphaels nicht abwenden konnte: »Nein, nein, mein lieber himmlischer Freund, es muß das ja nicht alsogleich geschehen; ich bin schon damit zufrieden, wenn es nur so nach und nach geschieht unter Mitwirkung unseres armseligen menschlichen Fleißes.«

11] Sagte darauf Raphael: »Hast du das, lieber Freund und Bruder, nie gehört, daß derjenige, der um etwas gebeten wird, doppelt und mehrfach gibt, wenn er alsogleich gibt, als so er dem, der ihn um etwas gebeten hat, das erst nach und nach nach seiner Muße und Gelegenheit zukommen läßt?«

12] Sagte der Oberstadtrichter: »Das ist freilich wohl wahr, und wir Römer haben in unserem bürgerlichen Gesetz auch einen ganz ähnlichen Ausspruch, aber er wird freilich nicht immer also ins Werk gesetzt.«

13] Sagte darauf Raphael: »Lieber Freund und Bruder, das ist wohl bei den Bürgern dieser Welt also gang und gäbe, weil euer Wille selbst und die Kraft, denselben in Vollzug zu bringen, noch mit vielen Schwächen behaftet ist; für uns Bürger der Himmel des Herrn aber ist das nicht mehr der Fall, sondern was wir wünschen und wollen, das ist auch schon im Augenblick in seiner möglichst höchsten Vollendung da. Und nun erhebe dich, und beschaue dir diese Gegend ein wenig, und sie wird dich von der Wahrheit dessen vollkommenst überzeugen, was ich nun zu dir gesagt habe!«



Home  |    Index Band 10  |   Werke Lorbers