Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 220. Kapitel: Jesus über die rechte Anwendung der Wundertätigkeit.

01] (Jesus:) »Es solle wohl Mein Evangelium über die ganze Erde ausgebreitet werden, aber dabei lege Ich keinem wahren Lehrer und Propheten die Pflicht auf, daß durch sie alle Menschen zum Vollichte der Wahrheit aus Mir gebracht werden sollen, - es genügt, daß die reine Lehre dem besseren und vollkommeneren Menschen erteilt wird und das Recht, diese, soviel als möglich ist, auch unter die andern Menschen zu verbreiten. Wohl denen, die sie annehmen werden! Aber das wird kein noch so vollkommener Lehrer und Prophet zuwege bringen, daß auf den Dornen die Trauben und auf den Disteln die Feigen wachsen werden.

02] Ich bin doch der Herr Selbst, und ihr wißt, daß Mir nichts unmöglich ist, - aber die Menschen dieser Erde, solange Ich ihnen den vollkommen freien Willen belassen muß, kann selbst Ich nicht bei aller Meiner Liebe und Meinem besten Willen in die Sphäre Meines ewigen Wahrheitslichtes erheben. Was Ich aber Selbst nicht kann und vermag, das werdet ihr um so weniger können und vermögen.

03] Es dünket euch freilich, es sollte Mir auch so etwas durch ein großartigst gewirktes Wunder möglich sein, und Ich sage euch, daß ihr teilweise wohl recht habt, - aber im ganzen gar nicht! Denn ein Wunder wirkt wohl örtlich, und das besonders zur Zeit, wenn es gewirkt worden ist, - an andern Orten muß davon schon erzählt werden, und es werden dann wohl einige daran glauben, die andern aber werden sagen: "Wenn dort das Wunder zur Erweckung des Glaubens gewirkt worden ist, - warum denn bei uns nicht?" Und für die Folge der Zeiten wird ein noch so großartig gewirktes Wunder wie eine andere geschehene Sache um so weniger geglaubt, je mehr Aufhebens davon gemacht wird, geht somit in den Bereich der geschichtlichen Märchen und Fabeln über und dient bei der überwiegenden Leichtgläubigkeit der Menschen mehr zur Bekräftigung ihres andersartigen Aberglaubens und dient daher nicht zur Erweckung des wahren Lichtes im Herzen des Menschen.

04] Die Menschen unterscheiden da gar nicht ein wirklich wahres Wunder von einem falschen, betrachten beide für etwas Außerordentliches und lassen sich dadurch zum Glauben zwingen.

05] Darum sollt auch ihr so wenig als möglich irgendein Wunder wirken, außer kranke Menschen heilen durch die Auflegung eurer Hände und die Menschen, die vollgläubig geworden sind, taufen, damit sie den Geist der Wahrheit in sich aufnehmen.

06] Darum haltet ihr euch vor allem nur an die reine Wahrheit; denn diese allein macht den Menschen vollkommen frei; alles andere hinterläßt in seinem Gemüte einen stets mehr oder weniger haftenden Zwang, dessen er nicht leicht los wird. Ein Zwangsglaube aber ist zumeist um vieles schlechter als gar kein Glaube.

07] Die Stoiker, größtenteils aus der Lehre des Griechen Diogenes hervorgehend, glauben an gar nichts, und Ich sage euch, daß sie Mir als Menschen um vieles lieber sind als jene dummen, blindgläubigen Juden, die da noch heutzutage des Glaubens sind, daß der Tempelmist ihre Äcker, Gärten, Wiesen und Weinberge belebe und sie fruchtbar mache, und daß derjenige Gott einen viel wohlgefälligeren Dienst erweise, der sein Geld als Opfer in den Gotteskasten im Tempel zu Jerusalem lege, als so er dasselbe Geld einem andern armen Menschen darreichte, dem damit auf längere Zeit geholfen wäre. Daher prediget nur die Wahrheit vor allem und seid seltsam (sparsam) im Wunderwirken!«

08] Sagte hierauf endlich einmal Mein Johannes: »Herr und Meister, was mich betrifft, so werde ich mit der Wundertätigkeit mich sehr wenig abgeben; denn ich habe es jetzt klar eingesehen, daß das Zeichenwirken dem Menschen eben nicht so viel nützt wie das Wort allein.

09] Wen das wahre Wort nicht frei macht, den wird das Zeichen noch weniger frei machen. Es haben zwar die Zeichen schon auch ihr entschieden Gutes, wenn sie von Dir aus gewirkt werden, indem Du allein am besten zu berechnen imstande bist, wo ein Zeichen zu wirken nötig ist, und wie es beschaffen sein muß; aber wir, Deine Jünger, werden das nie vollkommen verstehen, solange unsere Seelen mit diesem Fleische umhüllt sind, und somit bin ich der Meinung, daß es besser ist, beim alleinigen Worte zu bleiben, das sich dann durch seinen Wahrheitsinhalt von selbst kräftigen wird und keiner Nebenbekräftigung bedarf, wie denn das auch bei unserer Rechenkunst mit Händen zu greifen verständlich gemacht werden kann.

10] Soll ich vor dem, dem ich beigebracht habe, daß zwei und noch einmal zwei genau vier ausmachen, etwa auch noch ein Zeichen wirken, das ihm diese Rechenwahrheit bekräftigen soll? Ich meine, daß das unnötig wäre; und so ist denn auch Deine höchst einfache Lehre in sich selbst gleich wie eine rechenkünstlerische Wahrheit, die ein jeder Mensch, so er nur einen Funken guten Willens besitzt, auf ein einzigmaliges Hören einsehen, verstehen und begreifen muß.

11] Denn es liegt dazu schon in jedem Menschen ein innerer Drang, erstens Den zu suchen, der die Welt und alles, was auf ihr ist, erschaffen hat, indem ein solcher Mensch wohl einsieht, daß der Schöpfer aller dieser großen Dinge höchst weise, höchst mächtig und auch höchst gut sein muß, und daß der Mensch, der Ihn also nur erkennt, Ihn schon über alles achten und lieben muß, und daß er darauf auch seine Nebenmenschen als ein ihm gleiches wunderbarstes Gotteswerk ebenso achten und lieben muß wie sich selbst. Das sind zwei mathematische Wahrheiten, wider die niemand einen Zweifel erheben kann. Und dann kommt zweitens, daß der Mensch, der solches klar begreift, daß Gottes Macht und Weisheit alle diese Dinge erschaffen hat, darauf auch einsehen muß, daß Gott derlei Wunderdinge nicht darum ins Dasein gerufen hat, daß sie von heute bis morgen gewisserart zum Zeitvertreib des Schöpfers da seien, sondern daß selbst das kleinste Seiner Werke für ewig hin eine stets höhere Bestimmung in sich trägt.

12] Ich meine, diese Wahrheit wird einem jeden Menschen auch ohne eine Zeichenwirkerei begreiflich sein; es kommt nur darauf an, wie man es ihm vorträgt.

13] Ja, zum Beispiel, irgend Kranke zu heilen, auch einen oder den andern Besessenen von seinen Plagegeistern zu befreien, also dadurch seinen Nebenmenschen Gutes erweisen, sind auch Werke der Liebe, aber sie sollen nicht deswegen gewirkt werden, damit die Wahrheit durch sie bekräftigt werde, sondern aus Liebe!

14] Herr und Meister, habe ich mit diesen meinen schlichten Worten recht oder vielleicht auch nicht völlig recht gesprochen?«



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