Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 1)


Kapitelinhalt 27. Kapitel: Überwindung und Erlösung eines weisen Stoikers

(Am 30. Dezember 1842 von 4 1/4 bis 7 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1975 Lorber-Verlag

01] Der Vernunftpräses spricht: Lieben Freunde, bei dieser Frage, um darauf eine günstige Antwort geben zu können, ist eine gehörige Distinction als vorangehend nothwendig. Vorerst muß der Begriff 'Liebe' der Vernunft vollkommen gemäß erörtert sein, und dann erst wird man daraus ersehen können, wie sich Solcher verhält zu sich selbst, und zu allen dem, was ihn umgiebt. - Der Begriff 'Liebe' ist nichts Anderes und kann unmöglich etwas Anderes sein, als ein sich aussprechendes Bedürfniß, dessen Grund offenbar nichts Anderes sein kann, als der Mangel an Dem, wornach sich das Bedürfniß ausspricht. Das Bedürfniß gleicht einem Hunger. - Wenn ein Mensch einen starken Hunger, hat, so hat er einen so ungeheuren Appetit, daß er in sich gewisserart eine Ueberzeugung trägt, er müsse wenigstens eine Welt verzehren, bis er sich gestillt haben wird seinen Hunger. Was über sagt die wirkliche Erfahrung zu dieser phantastischen? - Nichts Anderes, als: Du hungriger Mensch, verzehre nur ein einziges Pfund Brod, und du wirst hinreichend gesättiget sein! - Sehet, nahe ein ganz ähnlicher Fall ist solches mit dem mehr geistigen Bedürfnisse unter dem Begriffe 'Liebe'. - Der liebehungrige Mensch ist der Meinung, er müsse den Magen seines Herzens mit der ganzen Unendlichkeit anfüllen, bis er gehörig gesättiget wird. Worin aber liegt der Grund dieses irrwähnigen Verlangens? Der Grund liegt in nichts Anderem, als in der Nichtsättigung des eigenen Erkenntnißhorizontes, wodurch dann nothwendiger Weise eine Leerheit die andere nach sich zieht, ein Mangel den anderen, und somit ein Bedürfniß das andere. Die Liebe begehrt Sättigung; da sie aber ein pures mechanisches Begehrungsvermögen des Geistes ist, so wohnt in ihr auch die Fähigkeit zu beurtheilen, was es zur Sättigung begehren soll. Da sich aber eben durch dieses Begehrungsvermögen eine Leerheit in der Erkenntniß ausspricht, so kann da ja auch diese Erkenntnißleerheit, was eben so viel als gar keine Erkenntniß heißt, nicht beurtheilen den zu seiner Sättigung nothwendigen Stoff. Bei solcher Gelegenheit wenden sich dann solche Hohlköpfe mit ihrem blinden Begehrungsvermögen freilich wohl an das Gebiet des Unendlichen, und sind der Meinung, aus diesem ewigen Füllhorne wird ihnen das Mangelnde gleich den sogenannten gebratenen Vögeln in den Mund fliegen. Wie leer aber solch eine wahrhafte Wahnmeinung ist, ist ja daraus mit den Händen zu greifen, daß solche Unendlichkeitsliebhaber anstatt irgend einer vollkommenen Sättigung nur einen stets größeren Hunger überkommen; was auch ganz natürlich ist, und zwar durch ein naturmäßiges Beispiel ersichtlich klar. - Denn nehmet ihr nur einen naturmäßig hungrigen Menschen; - wenn er voll Hungers neben einem Brodkorbe sitzt, dabei aber seinen Mund nur in den unendlichen Raum hin stets weiter und weiter aufsperrt, und thut, als wollte er die ganze Erde, die Sonne und den Mond, und das ganze gestirnte Firmament verschlingen, des Brodes aber an seiner Seite achtet er nicht; da ist es dann ja offenbar, daß er mit solch' einem Unendlichkeitsappetite von Stunde zu Stunde hungriger wird, und wenn er nicht bald nach dem Korbe greift, am Ende gar dem Verhungern preisgegeben ist. Aus diesem aber könnt ihr, meine geehrten Freunde, ja nun ohne weitere Erörterung gar leicht entnehmen, welch eine Bewandtniß es mit der sogenannten Gottesliebe hat. Die wahre Gottesliebe kann demnach ja nichts Anderes sein, und in nichts Anderem bestehen, als daß ein jeder gegebene Mensch den ihm gegebenen Horizont seiner Erkenntnisse erfüllen soll. Diese Erfüllung aber kann unmöglich eher vor sich gehen, als dann nur, so der Mensch sich selbst und somit seinen ihm gegebenen Kreis erkannt hat. Um aber Solches zu können, muß der Mensch sorgfältigst alle Hindernisse aus dem Wege räumen, sich von allen äußeren kleinlichen Bedürfnissen loszusprechen, und dann sich in seinen eigenen Mittelpunkt begeben, von welchem aus erst es ihm dann möglich wird, seinen ganzen Horizont zu überblicken, und diesen dann auszufüllen mit Dem, was ihm gegeben ist. Hat er das ausharrend und in allem Albernen sich selbst verleugnend zu Wege gebracht, sodann hat er auch seine Liebe oder sein begehrendes Bedürfniß vollkommen gesättiget. Was er von allem Dem verdauen wird, das wird er leichtlich alsobald mit der eigenen ihm gegebenen Fülle ersetzen; und Solches ist dann, vom Standpunkte der reinen Vernunft aus betrachtet eine vollkommene und gesättigte Liebe, die sich nicht mehr als ein Hunger, sondern stets als eine erfreuliche Sättigung ausspricht. - Sehet nun, das ist meine für meinen Horizont klarst möglichste Ansicht; könnt ihr jedoch, wie gesagt, Solches eben so frei thun, als wie ganz frei ich jedem Einwurfe zu begegnen im Stande bin.

02] Der Anführer spricht: Lieber Freund! du hast deine Antwort gut bemessen, und wir können ihr im Grunde nichts entgegen stellen. Da du uns aber schon noch ferner zu reden gestattet hast, so wollen wir uns in einer gar außerordentlichen Hauptsache mit dir berathen; und so wolle uns denn anhören!

03] Siehe, bei uns wird noch etwas Anderes hauptsächlich gelehrt und gegen diese Lehre will sich Niemand stemmen; dessen ungeachtet aber wissen wir nach deiner Art dennoch nicht, was wir daraus machen sollen. Diese Lehre aber besteht darin:

04] Gott oder das allumfassende Kraft- und Machtprinzip habe Sich Selbst in Seinem Centrum ergriffen, habe im selben einen Kulminationspunkt aller Seiner unendlichen Kraft und Macht gebildet, und sei dann als eben solcher Kulminationspunkt aller göttlichen Wesenheit in menschlicher Form, und zwar in der Person eines gewissen Jesus Christus auf dem Planeten Erde aufgetreten, habe da Selbst gelehrt, und unter den Menschen als Seinen Geschöpfen wie ein Bruder zu ihnen gewandelt, und habe Sich am Ende gar aus übergroßer Liebe zu Seinen Geschöpfen von ihnen dem angenommenen Leibe nach tödten lassen!

05] Zum Beweise Seiner Göttlichkeit wirkte Er Dinge und Thaten, welche keinem Menschen möglich sind, und erweckte Sich nach drei Tagen Selbst vom Leibestode, und fuhr dann im Angesichte Vieler wieder in Sein göttliches Centrum zurück!

06] Er lehrte auf der Welt, oder vielmehr auf dem Planeten Erde die Menschen nichts Anderes, als daß sie Ihn über Alles lieben sollten, und verhieß denen, die Solches thäten, Sein Reich, welches da bestehen sollte in der stets tieferen Erkenntniß Gottes, in der stets wachsenden Liebe zu Ihm, und in der aus der Erkenntniß und Liebe entspringenden unaussprechlich allerwonnigsten Seligkeit, welche das ewige Leben in Gott genannt wird.

07] Und siehe, die Sache ist nicht so leer, als du glaubst; in der Gegend, da wir her sind, wohnt derselbe Christus; und wie wir uns noch allzeit auf das Klarste und Lebendigste überzeugt haben, es gehorcht Ihm alle Kreatur in der ganzen Unendlichkeit; - es bedarf von Seiner Seite nur eines Winkes, und zahllose Weltenheere sind aus dem Dasein verschwunden, und wieder eines Winkes, und zahllose Heere erfüllen wieder die endlosesten Tiefen des ewig unendlichen Raumes. Was sagst du nun zu diesem unseren Anstande, den wir dir in dieser deiner Sphäre eröffnet haben?

08] Der Vernunftpräses spricht: Wenn eure ganze Erzählung kein Hirngespinnst ist, so liegt bezüglich des sich Ergreifens der unendlichen Macht und Kraft in irgend einem Centrum gerade nichts Unmögliches, da von einem jeden gegebenen Punkte ausgehend unendliche Linien denkbar sind; - aber bezüglich der Menschwerdung dieses göttlichen Kraft- und Machtcentrums ließe sich wohl so Manches einwenden, obschon die reine Vernunft Solches eben nicht als einen völligen Widerspruch aufnehmen kann. - Daß aber dieses Wesen dann hauptsächlich die Liebe zu Ihm gelehret hat, dieses erscheint dem reinen Denker von Seite des göttlichen Wesens wie ein barster Egoismus. Nehmen wir aber bei dem göttlichen Wesen oder bei der sich selbst concentrirten Urkraft das egoistische Bedürfniß an, so hört sie für's Erste auf, absolut zu sein; und ließe sich Solches bestreiten, so steht aller Wesenheit die gänzliche Vernichtung bevor.

09] Es muß demnach mit dieser Liebe eine andere Bewandtniß haben, und das göttliche Centrum kann sich dann gar wohl in der menschlichen Form äußern; wenn es aber mit dieser von euch dargestellten Liebe nur die hungernde Bewandtniß hat, so müßt ihr es ja doch mit den Händen greifen, in welchen Händen sich da die ganze Wesenheit aller Dinge befinden dürfte, wenn die unendliche Macht und Kraft gleichsam nothgedrungen sich an ihnen sättigen sollte.

10] Da ihr mir aber von diesem Christus ferner ausgesagt habet, daß Er gewisserart zufolge Seiner Verheißung Sich als die allzeit aussprechende Allmacht und Allkraft unter euch wirkend befinde, so müßt ihr Solches doch offenbar einsehen, daß ich aus diesem meinen angegebenen Kreise weder dafür noch dagegen Etwas sagen kann. Es kommt bei dergleichen Sachen allzeit auf die eigene Erfahrung an.

11] Könnte ich diesen Christus oder das vermenschlichte göttliche Centrum selbst erschauen, so wüßte ich dann auch ganz sicher, wie viel daran gelegen ist; - so aber müßt ihr euch meine geehrten Freunde, mit dem Gesagten begnügen. Könnt ihr aber diesen Christus hierher zu mir bringen, so könnt ihr auch versichert sein, daß ich Seine Wesenheit, so viel es in meiner Sphäre steht, nicht unklug beurtheilen werde: nur über meine Sphäre soll nichts gestellt sein!

12] Der Anführer spricht: Setzen wir den Fall, dieser Christus als das liebvollste Wesen würde hierher kommen, und hieße dich Ihm folgen; was würdest du dann thun?

13] Der Vernunftpräses spricht: So Er das ist, und ich Ihn als das erkenne, was ihr von Ihm ausgesagt habet, so läßt sich ja nichts Klareres denken, als daß die endlos geringere Potenz der endlos größeren nothwendig durch sich selbst getrieben folgen muß, weil da kein Ausweg möglich gedenkbar ist. Verhält sich aber die Sache nicht also, da ist es dann ja auch klar, daß ich aus meiner Sphäre nicht eigenmächtig treten kann, weil ich sammt meiner Sphäre, wie schon hinreichend erklärt, ein Gegebenes, aber nicht ein sich selbst Gebendes bin.

14] Der Anführer spricht: So sehe denn her! - Ich bin der Christus! Was willst Du nun von Mir?

15] Der Vernunftpräses spricht:. So du der Christus bist, so zeige mir Solches, und ich will Dir folgen.

16] Und Christus als der Anführer spricht: es werde Licht in dieser Sphäre! Und du öde Gegend werde zu einem Paradiese!

17] Nun sehet, der Vernunftpräses fällt vor dem Herrn nieder, und betet Ihn an, und spricht: Also ist es, daß Gott alle Dinge möglich si nd! - - Herr! da Du mir einem armseligen durch sich selbst Verbannten also gnädig warst, so nehme mich denn auf in Deinen Kreis!

18] Aber lasse mich in Deinem Gnadenkreise ja den Allergeringsten sein! - Ich weiß, daß Du meinen Horizont also erweitern kannst, wie Du mich selbst also, wie ich bin, aus Dir gegeben hast; ich aber habe mich dieses Kreises angewohnt als des engsten einer lebendigen Sphäre, und so belasse mich denn auch in diesem Kreise als den Allergeringsten unter allen Denen, die du deiner Gnade gewürdiget hast! - Glaube es mir, o Herr, und sehe es in meinem ganzen aus dir gegangenen Wesen, mein Geist war allzeit unfähig des Gedankens, dich unendlichen Geber je möglich in Seiner Urwesenheit zu erschauen; da ich dich nun aber also erschaut habe, so sind auch durch diesen Anblick alle die größten Lebensbedingungen meines Geistes erfüllt.

19] Und der Herr spricht: Also folge Mir, und du sollst mit nichten der Geringste allda sein, wo Ich bin unter Meinen Kindern! Doch nicht hier, sondern dort erst sollst du in Mir den liebevollsten heiligen Vater erkennen!

20] Sehet nun, meine lieben Freunde, das ist noch eine der allerbesten Arten der Erlösung eines solchen reinen Vernunftgeistes aus seiner Sphäre. - Es giebt aber deren eine gar große Menge in dieser euch anschaulichen Gegend, mit denen es nicht so leicht geht, wie mit Diesem. Solches ist besonders dann der Fall, wenn solche stoische Vernunftgeister auch noch, was eben nicht selten der Fall ist, einen bedeutenden Grad gelehrten Hochmuthes in sich vereinigen. Einer solchen Bekehrung wäre es auch für euch nicht gut beizuwohnen; denn ihr könnt es sicher gläubig annehmen, daß da nicht selten mehrere hundert Versuche scheitern. - Und so wollen wir auch diese Gegend wieder verlassen, und uns in die Mittelschlucht tiefer einwärts begeben; - und somit gut für heute!

01] Der Vernunftpräses spricht: Liebe Freunde, bei dieser Frage ist eine gehörige Unterscheidung als vorangehend notwendig, um darauf eine gültige Antwort geben zu können. Vorerst muß der Begriff ,Liebe' vollkommen der Vernunft gemäß erörtert sein, dann erst wird man daraus ersehen können, wie sich solcher verhält zu sich selbst und zu alledem, was ihn umgibt. Der Begriff ,Liebe' ist nichts anderes und kann unmöglich etwas anderes sein als ein sich aussprechendes Bedürfnis, dessen Grund offenbar nichts anderes sein kann als der Mangel an dem, wonach sich das Bedürfnis ausspricht. Das Bedürfnis gleicht einem Hunger. Wenn ein Mensch einen starken Hunger hat, so hat er einen so ungeheuren Appetit, daß er in sich gewisserart eine Überzeugung trägt, er müsse wenigstens eine Welt verzehren, bis er sich seinen Hunger gestillt haben wird. Was aber sagt die wirkliche Erfahrung zu dieser phantastischen Vorstellung? Nichts anderes als: Du hungriger Mensch, verzehre nur ein einziges Pfund Brot, und du wirst hinreichend gesättigt sein! Seht, ein ganz ähnlicher Fall ist es mit dem mehr geistigen Bedürfnisse unter dem Begriffe ,Liebe'. Der liebehungrige Mensch ist der Meinung, er müsse den Magen seines Herzens mit der ganzen Unendlichkeit anfüllen, bis er gehörig gesättigt wird. Worin aber liegt der Grund dieses irrwähnigen Verlangens? Der Grund liegt in nichts anderem als in der Nichtsättigung des eigenen Erkenntnishorizontes, wodurch dann notwendigerweise eine Leere die andere nach sich zieht, ein Mangel den anderen, und somit ein Bedürfnis das andere. Die Liebe begehrt Sättigung. Da sie aber ein pur mechanisches Begehrungsvermögen des Geistes ist, so wohnt in ihr auch nicht die Fähigkeit, zu beurteilen, was es zur Sättigung begehren soll. Da sich aber eben durch dieses Begehrungsvermögen eine Leere in der Erkenntnis ausspricht, so kann da ja auch diese Erkenntnisleere, was ebensoviel als gar keine Erkenntnis heißt, den zu seiner Sättigung notwendigen Stoff nicht beurteilen. Bei solcher Gelegenheit wenden sich dann solche Hohlköpfe mit ihrem blinden Begehrungsvermögen freilich wohl an das Gebiet des Unendlichen und sind der Meinung, aus diesem ewigen Füllhorne werde ihnen das Mangelnde gleich den sogenannten gebratenen Vögeln in den Mund fliegen. - Wie leer aber solch eine wahrhafte Wahnmeinung ist, ist ja daraus mit den Händen zu greifen, daß solche Unendlichkeitsliebhaber anstatt irgendeiner vollkommenen Sättigung nur einen stets größeren Hunger bekommen, was auch ganz natürlich ist, und zwar durch ein naturmäßiges Beispiel ersichtlich klar. - Nehmt ihr nur einen naturmäßig hungrigen Menschen, der voll Hungers neben einem Brotkorbe sitzt, dabei aber seinen Mund in den unendlichen Raum hin stets weiter und weiter aufsperrt und tut, als wollte er die ganze Erde, die Sonne und den Mond und das ganze gestirnte Firmament verschlingen, des Brotes aber an seiner Seite achtet er nicht. Da ist es ja dann offenbar, daß er mit solch einem Unendlichkeitsappetite von Stunde zu Stunde hungriger wird, und wenn er nicht bald nach dem Korbe greift, am Ende gar dem Verhungern preisgegeben ist. Aus diesem aber könnt ihr, meine geehrten Freunde, ja nun ohne weitere Erörterung gar leicht entnehmen, welch eine Bewandtnis es mit der sogenannten ,Gottesliebe' hat. Die wahre Gottesliebe kann demnach ja nichts anderes sein und in nichts anderem bestehen, als daß ein jeder gegebene Mensch den ihm gegebenen Horizont seiner Erkenntnisse erfüllen soll. Diese Erfüllung aber kann unmöglich eher vor sich gehen, als dann nur, so der Mensch sich selbst und somit seinen ihm gegebenen Kreis erkannt hat. Um aber solches zu können, muß der Mensch sorgfältigst alle Hindernisse aus dem Wege räumen, sich von allen äußeren, kleinlichen Bedürfnissen lossprechen und dann sich in seinen eigenen Mittelpunkt begeben, von welchem aus es ihm dann erst möglich wird, seinen ganzen Horizont zu überblicken und diesen dann auszufüllen mit dem, was ihm gegeben ist. - Hat er das ausharrend, und in allem Albernen sich selbst verleugnend, zuwege gebracht, dann hat er auch seine Liebe oder sein begehrendes Bedürfnis vollkommen gesättigt. Was er von alledem verdauen wird, das wird er leichtlich sobald mit der eigenen, ihm gegebenen Fülle ersetzen; und solches ist dann - vom Standpunkte der reinen Vernunft aus betrachtet eine vollkommene und gesättigte Liebe, die sich nicht mehr als ein Hunger, sondern stets als eine erfreuliche Sättigung ausspricht. Seht nun, das ist meine für meinen Horizont möglichst klarste Ansicht; könnt ihr jedoch derselben etwas einwenden, so könnt ihr, wie gesagt, solches ebenso frei tun, als wie frei ich jedem Einwurfe zu begegnen imstande bin.


02] Der Anführer spricht: Lieber Freund! Du hast deine Antwort gut bemessen, und wir können ihr im Grunde nichts entgegen stellen. Da du uns aber ferner zu reden gestattet hast, so wollen wir uns noch in einer gar außerordentlichen Hauptsache mit dir beraten; und so wolle uns denn anhören!

03] Siehe, bei uns wird noch etwas anderes hauptsächlich gelehrt, und gegen diese Lehre will sich niemand stemmen; dessen ungeachtet aber wissen wir nach deiner Art dennoch nicht, was wir daraus machen sollen. Diese Lehre aber besteht darin:

04] Gott oder das allumfassende Kraft- und Machtprinzip habe Sich Selbst in Seinem Zentrum ergriffen, habe im selben einen Kulminationspunkt aller Seiner unendlichen Kraft und Macht gebildet, und sei dann als eben solcher Kulminationspunkt aller göttlichen Wesenheit in menschlicher Form, und zwar in der Person eines gewissen Jesus Christus, auf dem Planeten Erde aufgetreten, habe da Selbst gelehrt, sei unter den Menschen als Seinen Geschöpfen wie ein Bruder zu ihnen gewandelt und habe Sich am Ende gar - aus übergroßer Liebe zu Seinen Geschöpfen - von ihnen dem angenommenen Leibe nach töten lassen!

05] Zum Beweise Seiner Göttlichkeit wirkte Er Dinge und Taten, welche keinem Menschen möglich sind, erweckte Sich nach drei Tagen Selbst vom Leibestode und fuhr dann im Angesichte vieler wieder in Sein göttliches Zentrum zurück!

06] Er lehrte auf der Welt oder vielmehr auf dem Planeten Erde die Menschen nichts anderes, als daß sie Ihn über alles lieben sollten und verhieß denen, die solches tun, Sein Reich, welches da bestehen soll in der stets tieferen Erkenntnis Gottes, in der stets wachsenden Liebe zu Ihm und in der aus der Erkenntnis und Liebe entspringenden unaussprechlich wonnigsten Seligkeit, - welche das ewige Leben in Gott genannt wird. -

07] Und siehe, diese Sache ist nicht so leer als du glaubst. In der Gegend, da wir her sind, wohnt derselbe Christus; und wie wir uns noch allzeit auf das Klarste und Lebendigste überzeugt haben, gehorcht Ihm alle Kreatur in der ganzen Unendlichkeit. Es bedarf von Seiner Seite nur eines Winkes, und zahllose Weltenheere sind aus dem Dasein verschwunden, und wieder eines Winkes, und zahllose Heere erfüllen wieder die endlosen Tiefen des ewig unendlichen Raumes. Was sagst du nun zu diesem unserem Anstande, den wir dir in dieser deiner Sphäre eröffnet haben?

08] Der Vernunftpräses spricht: Wenn eure ganze Erzählung kein Hirngespinst ist, so liegt bezüglich des sich Ergreifens der unendlichen Macht und Kraft in irgendeinem Zentrum gerade nichts Unmögliches, da von einem jeden gegebenen Punkte ausgehend unendliche Linien denkbar sind. Aber bezüglich der Menschwerdung dieses göttlichen Kraft- und Machtzentrums ließe sich wohl so manches einwenden, obschon die reine Vernunft solches eben nicht als einen völligen Widerspruch aufnehmen kann. Daß aber dieses Wesen dann hauptsächlich die Liebe zu Ihm gelehrt hat, dieses erscheint dem reinen Denker von seiten des göttlichen Wesens wie ein barster Egoismus. Nehmen wir aber bei dem göttlichen Wesen oder bei der sich selbst konzentrierten Urkraft das egoistische Bedürfnis an, so hört sie fürs erste auf, absolut zu sein; und ließe sich solches bestreiten, so steht aller Wesenheit die gänzliche Vernichtung bevor.

09] Es muß demnach mit dieser Liebe eine andere Bewandtnis haben, und das göttliche Zentrum kann sich dann gar wohl in der menschlichen Form äußern. Wenn es aber mit dieser von euch dargestellten Liebe nur die hungernde Bewandtnis hat, so müßt ihr es ja doch mit den Händen greifen, in welchen Händen sich da die ganze Wesenheit aller Dinge befinden dürfte, wenn die unendliche Macht und Kraft gleichsam notgedrungen sich an ihnen sättigen sollte.

10] Da ihr mir aber von diesem Christus ferner ausgesagt habt, daß Er gewisserart zufolge Seiner Verheißung Sich als die allzeit aussprechende Allmacht und Allkraft unter euch wirkend befinde, so müßt ihr solches doch offenbar einsehen, daß ich aus diesem meinem gegebenen Kreise weder dafür noch dagegen etwas sagen kann. Es kommt bei dergleichen Sachen allzeit auf die eigene Erfahrung an.

11] Könnte ich diesen Christus oder das vermenschlichte göttliche Zentrum selbst schauen, so wüßte ich dann auch ganz sicher, wieviel daran gelegen ist; so aber müßt ihr euch, meine geehrten Freunde, mit dem Gesagten begnügen. - Könnt ihr aber diesen Christus hierher zu mir bringen, so könnt ihr versichert sein, daß ich Seine Wesenheit, soviel es in meiner Sphäre steht, nicht unklug beurteilen werde; nur über meine Sphäre soll nichts gestellt sein!

12] Der Anführer spricht: Setzen wir den Fall, dieser Christus als das liebevollste Wesen würde hierherkommen und hieße dich Ihm folgen; was würdest du dann tun?

13] Der Vernunftpräses spricht: So Er das ist, und ich Ihn als das erkenne, was ihr von Ihm ausgesagt habt, so läßt sich ja nichts Klareres denken, als daß die endlos geringere Potenz der endlos größeren notwendig durch sich selbst getrieben folgen muß, weil da kein Ausweg möglich und denkbar ist. - Verhält sich aber die Sache nicht also, da ist es dann ja auch klar, daß ich aus meiner Sphäre nicht eigenmächtig treten kann, weil ich samt meiner Sphäre, wie schon hinreichend erklärt, ein Gegebenes, aber nicht ein sich selbst Gebendes bin.

14] Der Anführer spricht: So sehe denn her! - Ich bin der Christus! Was willst du nun von Mir?

15] Der Vernunftpräses spricht: So Du der Christus bist, so zeige mir solches, und ich will Dir folgen. -

16] Und Christus als der Anführer spricht: Es werde Licht in dieser Sphäre und du öde Gegend werde zu einem Paradiese!

17] Nun seht, der Vernunftpräses fällt vor dem Herrn nieder und betet Ihn an und spricht: Also ist es, daß Gott alle Dinge möglich sind! - - Herr! Da Du mir, einem armseligen, durch sich selbst Verbannten also gnädig warst, so nehme mich denn auf in Deinen Kreis!

18] Aber lasse mich in Deinem Gnadenkreise der Allergeringste sein! Ich weiß, daß Du meinen Horizont so erweitern kannst, wie Du mich selbst also, wie ich bin, aus Dir gegeben hast; ich aber habe mich dieses Kreises angewöhnt als des engsten einer lebendigen Sphäre, und so belasse mich denn auch in diesem Kreise als den Allergeringsten unter all denen, die Du Deiner Gnade gewürdigt hast! Glaube es mir, o Herr, und sehe es in meinem ganzen aus Dir gegangenen Wesen, mein Geist war allzeit unfähig des Gedankens, Dich unendlichen Geber je in Seiner Urwesenheit zu erschauen; da ich Dich nun aber also erschaut habe, so sind auch durch diesen Anblick alle die größten Lebensbedingungen meines Geistes erfüllt.


19] Und der Herr spricht: Also folge Mir, und du sollst mitnichten der Geringste allda sein, wo Ich bin unter Meinen Kindern! Doch nicht hier, sondern dort erst sollst du in Mir den liebevollsten heiligen Vater erkennen! -

20] Seht nun, meine lieben Freunde, das ist noch eine der allerbesten Arten der Erlösung eines solchen reinen Vernunftgeistes aus seiner Sphäre. Es gibt aber deren eine gar große Menge in dieser euch beschaulichen Gegend, mit denen es nicht so leicht geht wie mit diesem. Solches ist besonders dann der Fall, wenn solche stoische Vernunftgeister auch noch, was eben nicht selten der Fall ist, einen bedeutenden Grad gelehrten Hochmutes in sich vereinigen. Einer solchen Bekehrung wäre es auch für euch nicht gut beizuwohnen; denn ihr könnt es gläubig annehmen, daß da nicht selten mehrere hundert Versuche scheitern. - Und so wollen wir auch diese Gegend wieder verlassen und uns in die Mittelschlucht tiefer einwärts begeben. Und somit gut für heute! -

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