Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 2)


Kapitelinhalt 47. Kapitel: 9. Stockwerk - Vom Eingehen in das Wesen des Geistes

(Am 21. Juli 1843, von Nachmittags 5 - 7 1/4 Uhr.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1976 Lorber-Verlag

01] Wir hatten uns über die überaus zarte Rundtreppe herauf gehoben, und befinden uns nun ganz wohlbehalten im neunten Stockwerke, oder auf der zehnten Gallerie. - So denn seht euch nur sogleich recht aufmerksam um, und saget es mir dann nach der gewöhnlichen Art und Weise, was Alles ihr hier Neues und Denkwürdiges erschaut habet.

02] Ihr machet hier, wie ich sehe, ein wenig große Augen, und stutzet; was ist es denn, das euch hier also zu befremden scheint?

03] Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, außer einer lichtgrauweißlichten continuirlichen Wand des Hauptgebäudes entdecken wir zu einer Abwechslung gar nichts, außer, so wir abwärts sehen, Theile der früheren Gallerien; aber darauf wir stehen, mögen wir nicht erschauen, - also weder einen Boden, noch irgend ein Säulenrondeau, noch ein Geländer, und schon am allerwenigsten irgend ein Säulenrondeau-Ornament. Sollten sich aber jedoch solche Dinge auch auf dieser ganz entsetzlich lustigen zehnten Gallerie vorfinden, so bitten wir dich im Ernste um eine Augensalbe, denn mit so bestelltem Augenlichte werden wir ganz entsetzlich wenig zu Gesichte bekommen, und darnach urtheilen können, was alles Wunderherrliches und Vielbedeutendes sich etwa auf dieser zehnten Gallerie vorfindet.

04] Lieber Freund und Bruder! Wenn allfällig im Innern dieses neunten Stockwerkes auch Menschen wohnen und von ebenfalls so überaus durchsichtiger Natur sind, wie diese gegenwärtige Gallerie, da meinen wir, wird es für uns keine Gefahr haben, solche anzusehen; so wenig, als es auf der Erde für die Menschen von irgend einer sinnlich bezaubernden Gefahr ist, wenn sie auch von den allererhabenst schönsten himmlischen Wesen umgeben sind, aber von ihnen nicht ein Atom groß zu sehen bekommen.

05] Wenn wir überhaupt so recht aufmerksam auf die continuirliche Wand hinsehen, so entdecken wir nicht einmal irgend eine Eingangsthüre; und es hat sehr stark den Anschein, als wohneten hierin entweder pure Geister, oder es wohne gar Niemand darinnen. - Fürwahr, über diese höchst luftige Einrichtung könnte man sich im Ernste ein wenig lustig machen; denn wo nichts zu sehen ist, da ist für das betrachtende Subjekt auch so gut wie gar kein Object vorhanden, - ohne Object aber möchten wir denn doch auch ein wenig wissen, wie man da zu irgend einem anschaulichen Begriffe desselben gelangen kann, außer man schmiedet aus seiner eigenen Phantasie ein ganzes Regiment Hypothesen, mischt sie dann wie Spielkarten untereinander, wirft sie in einen Glückstopf, zieht blindlings eine aus demselben hervor, und macht dann diese zu einem Haupttreffer.

06] Fürwahr, auf dieser Gallerie scheint es sehr stark, daß wir werden zu unsichtbaren Hypothesen unsere Zuflucht nehmen und sagen müssen, was allenfalls sich hier vorfinden kann; aber nicht, was sich etwa im Ernste vorfindet.

07] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, dem Anscheine nach habt ihr freilich wohl hier in so manchen Stücken Recht; aber der Wirklichkeit nach sind euere Angaben und Muthmaßungen, wie auch so manche witzig scheinende Phrasen noch um's Außerordentliche viel luftiger und durchsichtiger, als die Gegenstände dieser zehnten Gallerie.

08] Habt ihr nie gehört auf der Erde, und nie gesehen, welches Mittels sich die Blinden statt des Augenlichtes bedienen? Ihr saget: Diese greifen, und befühlen, ob und was da ist. - Nun gut; wenn ihr hier für diese Gegenstände so gut wie blind seid, so greifet, und ihr werdet euch dann ja wohl überzeugen, ob Etwas, oder ob Nichts da sei?

09] Ich sage euch: Wir befinden uns knapp an einem Säulenrondeau, welches hier freilich wohl nur mehr aus zwölf einzelnen Säulen besteht. Tastet ein wenig um euch, und euer Gefühl wird euch gar bald sagen, wie es sich mit der Sache verhält. - Sehet, da hinter euch ist gleich eine Säule; nur hingelangt, und ihr werdet sie sogleich sicher recht wohl gewahren.

10] Nun, ihr habt Solches gethan; habt ihr eine Säule entdeckt oder nicht? - Ihr saget: Fürwahr, lieber Freund und Bruder, wir haben noch dazu eine überaus feste Säule mit unseren Händen entdeckt; aber was ist denn das für eine entsetzliche Materie, die bei solch' einer außerordentlichen Festigkeit also durchsichtig ist, daß von ihr auch mit dem schärfsten Blicke keine Spur zu entdecken ist? - Auf der Erde ist solch' eine Erscheinung undenklich.

11] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, ich sage euch hierzu nichts Anderes, als: Alles richtet sich nach der Gestalt der Sache. Es werden sich aber dennoch Beispiele finden lassen, durch die diese Erscheinung sich sogar auf euerer Erde recht gut wird erklären lassen. Die Erfahrung wird es euch lehren, so sie es euch nicht schon gelehrt hat, daß ganz gleiche Gegenstände, d. h. Gegenstände von vollkommen gleicher Farbe, von einander unter gewissen Bedingungen mit dem allerschärfsten Auge nicht unterscheidbar sind.

12] Nehmet zum ersten Beispiele eine vollkommen weiße Wand, und mahlet dann mit eben der vollkommen weißen Farbe eine Landschaft auf diese weiße Wand, und wann sie fertig wird, dann versuchet euere Augen, ob ihr von der Landschaft etwas entdecken werdet? - Seht, da hätten wir schon ein Beispiel:

13] Nehmet einen geschliffenen Diamanten, und leget ihn in durch eine kleine Esse angefachte Kohlengluth; der Diamant wird sobald, ja im ersten Augenblicke in die vollkommene Glühe der Kohlen übergehen, obschon sie bei solcher Hitze nicht im Geringsten verflüchtigen. Rufet dann Jemanden herbei, der die Stelle nicht weiß, dahin der Diamant ist gelegt worden, und er kann einen ganzen Tag lang in die Gluth hineinstarren, und ihr könnt versichert sein, daß er so wenig, wie ihr selbst, von dem Diamanten die allerleiseste Spur entdecken wird. Warum denn nicht? - Weil der Diamant als ein höchst durchsichtiger Körper unter ganz gleichen Licht- und Glühumständen selbst als ein überaus fester Körper von seiner Umgebung nicht unterscheidbar ist, indem seine Kanten unter solchen ganz gleichen Umständen keine Abmarkung seiner Form erschaulich zulassen.

14] Sehet, das ist schon wieder ein Beispiel auf der Erde. - Gehet in eine Glasfabrik; nehmet da Glasperlen oder sonstige Gegenstände aus Glas mit, und werfet sie hinein in die weißglühende flüssige Glasmasse im Schmelztigel, sehet dann recht fest hinein und beschreibet euch gegenseitig die verschiedenen Glasperlformen, wie sie allenfalls aussehen; ihr werdet davon so viel wie gar nichts entdecken. Sehet, da hatten wir schon wieder ein Beispiel auf der Erde.

15] Nun ein euch gar nahes Beispiel! - Schüttet in ein ganz reines Glas ebenfalls ein ganz reines Wasser, und versuchet dann, ob ihr vom gefüllten Glase die innere Wand, an der natürlich das Wasser liegt, entdecken könnet? - Noch mehr Beispiele! - Leget ein vollkommen reines Glas in ein ebenfalls vollkommen reines Wasser, und ihr werdet von dem Glase eben nicht gar zu viel zu Gesichte bekommen. - Ferner laßt euch von vollkommen reinem Glase, welches auf beiden Seiten spiegelblank geschliffen ist, eine Fensterscheibe einschneiden, und versuchet vom Zimmer aus, etwas vom Glase der Fensterscheibe zu entdecken. Ihr könnt versichert sein, ein jeder Fremde, der in euer Zimmer kommen wird, wird zu euch sagen: Aber warum lasset ihr denn da keine Scheibe hinein schneiden? - Warum wird er denn Solches sagen? - Weil er die Materie des reinen Glases von der gleich reinen Luft nicht zu unterscheiden vermag.

16] Dann ferner gehet an einem neblichten Tage an ein Wasser, und versuchet, ob ihr vom Wasser etwas entdecken könnet, wenn der Nebel auf desselben Oberfläche liegt? - Andere Gegenstände werdet ihr in gleicher Entfernung noch recht gut ausnehmen; aber nur die Oberfläche des Wassers nicht, weil dieses natürlich die gleiche Färbung mit dem über ihm schwebenden Nebel annimmt. Deßgleichen werdet ihr auch auf einem Gletscher selbst schon bei einem schwachen Nebel von den Eisformen desselben sogar unter eueren Füßen nichts mehr zu entdecken imstande sein. Die Ursache liegt ebenfalls im gleichen Lichte. -

17] Nehmet ihr z. B. zum Beschlusse noch an, ihr befändet euch in einer Doppelsonnen-Weltsphäre, allda nicht selten für die Bewohner der Planeten eine Sonne die andere, wenn schon in bedeutender Entfernung also übersteigt, wie bei einer Sonnenfinsterniß euer Mond scheinbar die Sonne übersteigt. Beim Monde könnt ihr ganz genau merken, in wie weit deß scheinbare Scheibe über die scheinbare Scheibe der Sonne gezogen ist; würdet ihr wohl auf eine gleiche Art zwei übereinander gezogene Sonnenscheiben eben so gut unterscheiden können? Ihr würdet da nichts als eine Zusammenschmelzung der zwei Sonnen in vollkommen Eine ausnehmen; aber die Abmarkung der einen Glanzscheibe gegen die andere wird eueren Angen völlig entgehen ob des gleichen Lichtes.

18] Ich meine, wir werden der Beispiele genug haben, aus denen ihr die Nichtsichtbarkeit der Gegenstände dieser Gallerie gar leicht erklärlich finden werdet. Der Grund liegt nämlich darin, weil die Gegenstände in gleicher Farbe und gleicher Durchsichtigkeit mit dem sie allenthalben umgebenden ätherischen Lichtstoffe sind.

19] Dieses ist aber nicht nur materiell richtig, sondern auch geistig. - Denket euch eine Gesellschaft von vollkommen gleich weisen Menschen; wie werden sich die untereinander verhalten? - Ich sage euch: Nicht anders, wie Blinde, Taube und Stumme; denn Keiner wird dem Andern Etwas zu sagen haben, weil er schon voraus weiß, daß sein Nachbar ganz bestimmt das weiß, was er ihm sagen möchte. Ein gleicher Fall ist ja schon in euerem gewöhnlichen Leben ersichtlich vorhanden.

20] Was thun zwei Bekannte, so sie dann und wann zusammen kommen? - Sehet, sobald fragt Einer den Andern: Nun, was giebt es denn Neues? Weiß Einer dem Andern etwas Neues zu erzählen, so wird ihn der Andere mit großer Aufmerksamkeit anhören; wissen aber Beide miteinander nichts, so wird der Discurs von sehr kurzer Dauer sein. Warum denn? - Weil in diesem Falle die beiderseitigen Wissenschaftslichtfarben ganz homogen sind. Derselbe Fall wird es auch sein, wenn Beide eine und dieselbe Neuigkeit schon geraume Zeit wissen; wie der Eine dieselbe zu erzählen anfangen wird, so wird ihm der Andere sogleich sagen: O, das ist ja schon etwas Altes; wenn du nichts Besseres weißt, so haben wir schon ausgeredet.

21] Dergleichen ist es auch der Fall, wenn ein Blinder den andern führen soll, oder ein Dummer den andern unterrichten. Wie weit dergleichen Menschen kommen werden, ist bekannt, und braucht nicht näher erörtert zu werden.

22] Aber aus eben dem Grunde können auch die Menschen auf dem Erdkörper die sie umgebenden Geister nicht sehen, weil sie selbe sehen möchten mit ihren Augen, die da homogen sind mit ihrem Verstande, und dieser homogen mit der formellen Substanz der Geister.

23] Wenn aber Jemand geht in seine Liebe, welche ein anderes Licht ist, als das Licht der puren Weisheit, so wird er auch sobald die geistigen Formen um sich zu schauen anfangen, und diese werden sobald verschwinden, wie er sie in sein Denken aufnehmen wird. - Sehet, das ist so ein kleiner Anfang von Dem, was wir hier werden kennen lernen; fanget daher nur recht tüchtig an um euch umher zu greifen, und wir werden für's nächste Mal hinreichend zur belehrenden Erörterung bekommen.

01] Wir hätten uns über die überaus zarte Rundtreppe heraufgehoben und befinden uns nun ganz wohlbehalten im neunten Stockwerke oder auf der zehnten Galerie. So denn seht euch nur sogleich recht aufmerksam um und sagt es mir dann nach der gewöhnlichen Art und Weise, was alles ihr hier Neues und Denkwürdiges erschaut habt.


02] Ihr macht hier, wie ich sehe, ein wenig große Augen und stutzet. Was ist es denn, das euch hier also zu befremden scheint?

03] Ihr sagt: Lieber Freund und Bruder, außer einer lichtgrauweißlichen, kontinuierlichen Wand des Hauptgebäudes entdecken wir zur Abwechslung gar nichts, außer, so wir abwärts sehen, Teile der früheren Galerien; aber das, darauf wir stehen, mögen wir nicht erschauen, also weder einen Boden, noch irgendein Säulenrondell, noch ein Geländer und schon am allerwenigsten irgendein Säulenrondell-Ornament. Sollten sich aber jedoch solche Dinge auch auf dieser ganz entsetzlich luftigen zehnten Galerie vorfinden, so bitten wir dich im Ernste um eine Augensalbe, denn mit so bestelltem Augenlichte werden wir ganz entsetzlich wenig zu Gesichte bekommen und darnach urteilen können, was alles Wunderherrliches und Vielbedeutendes sich etwa auf dieser zehnten Galerie vorfindet.

04] Lieber Freund und Bruder! Wenn allfällig im Innern dieses neunten Stockwerkes auch Menschen wohnen und diese von ebenfalls so überaus durchsichtiger Natur sind wie diese gegenwärtige Galerie, da meinen wir, wird es für uns keine Gefahr haben, solche anzusehen; so wenig, als es auf der Erde für die Menschen von irgendeiner sinnlich bezaubernden Gefahr ist, wenn sie auch von den allererhabenst schönsten himmlischen Wesen umgeben sind, aber von ihnen nicht ein Atom groß zu sehen bekommen.

05] Wenn wir überhaupt so recht aufmerksam auf die kontinuierliche Wand hinsehen, so entdecken wir nicht einmal irgendeine Eingangstüre; und es hat sehr stark den Anschein, als wohneten hierin entweder pure Geister, oder es wohne gar niemand darinnen. Fürwahr, über diese höchst luftige Einrichtung könnte man sich im Ernste ein wenig lustig machen, denn wo nichts zu sehen ist, da ist für das betrachtende Subjekt auch so gut wie gar kein Objekt vorhanden. Ohne Objekt aber möchten wir denn doch auch ein wenig wissen, wie man da zu irgendeinem anschaulichen Begriffe desselben gelangen kann, außer man schmiedet aus seiner eigenen Phantasie ein ganzes Regiment Hypothesen, mischt sie dann wie Spielkarten untereinander, wirft sie in seinen Glückstopf, zieht blindlings eine aus demselben hervor und macht dann diese zu einem Haupttreffer.

06] Fürwahr, es scheint sehr stark, daß wir auf dieser Galerie werden zu unsichtbaren Hypothesen unsere Zuflucht nehmen und sagen müssen, was allenfalls sich hier vorfinden kann; aber nicht, was sich etwa im Ernste vorfindet.

07] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, dem Anscheine nach habt ihr freilich wohl hier in so manchen Stücken recht; aber der Wirklichkeit nach sind eure Angaben und Mutmaßungen, wie auch so manche witzig scheinende Phrasen noch ums Außerordentliche viel luftiger und durchsichtiger als die Gegenstände dieser zehnten Galerie.


08] Habt ihr nie gehört auf der Erde und nie gesehen, welches Mittels sich die Blinden statt des Augenlichtes bedienen? Ihr sagt: Diese greifen und befühlen, ob und was da ist. Nun gut; wenn ihr hier für diese Gegenstände so gut wie blind seid, so greift, und ihr werdet euch dann ja wohl überzeugen, ob etwas oder ob nichts da sei.


09] Ich sage euch: Wir befinden uns knapp an einem Säulenrondell, welches hier freilich wohl nur mehr aus zwölf einzelnen Säulen besteht. Tastet ein wenig um euch, und euer Gefühl wird euch gar bald sagen, wie es sich mit der Sache verhält. Seht da hinter euch ist gleich eine Säule; nur hingegriffen, und ihr werdet sie sogleich sicher recht wohl gewahren.

10] Nun, ihr habt solches getan; habt ihr eine Säule entdeckt oder nicht? Ihr sagt: Fürwahr, lieber Freund und Bruder, wir haben noch dazu eine überaus feste Säule mit unseren Händen entdeckt; aber was ist denn das für eine entsetzliche Materie, die bei solch einer außerordentlichen Festigkeit also durchsichtig ist, daß von ihr auch mit dem schärfsten Blicke keine Spur zu entdecken ist? Auf der Erde ist solch eine Erscheinung undenklich.

11] Ja, meine lieben Freunde und Brüder, ich sage euch hierzu nichts anderes als: Alles richtet sich nach der Gestalt (Wesen) der Sache. Es werden sich aber dennoch Beispiele finden lassen, durch die diese Erscheinung sich sogar auf eurer Erde recht gut wird erklären lassen. Die Erfahrung wird es euch lehren, so sie es euch nicht schon gelehrt hat, daß ganz gleiche Gegenstände, d.h. Gegenstände von vollkommen gleicher Farbe, voneinander unter gewissen Bedingungen mit dem allerschärfsten Auge nicht unterscheidbar sind.

12] Nehmt zum ersten Beispiele eine vollkommen weiße Wand und malet dann mit eben der vollkommen weißen Farbe eine Landschaft auf diese weiße Wand, und wenn sie fertig wird, dann versuchet eure Augen, ob ihr von der Landschaft etwas entdecken werdet? Seht, da hätten wir schon ein Beispiel.

13] Nehmt einen geschliffenen Diamanten und legt ihn in durch eine kleine Esse angefachte Kohlengut. Der Diamant wird sobald, ja im ersten Augenblicke, in die vollkommene Glühe der Kohlen übergehen, obschon sich bei solcher Hitze nicht im geringsten verflüchtigen. Rufet dann jemanden herbei, der die Stelle nicht weiß, dahin der Diamant gelegt worden ist, und er kann einen ganzen Tag lang in die Glut hineinstarren, und ihr könnt versichert sein, daß er so wenig wie ihr selbst von den Diamanten die allerleiseste Spur entdecken wird. Warum denn nicht? Weil der Diamant als ein höchst durchsichtiger Körper unter ganz gleichen Licht- und Glühumständen selbst als ein überaus fester Körper von seiner Umgebung nicht unterscheidbar ist, indem seine Kanten unter solchen ganz gleichen Umständen keine Abmarkung seiner Form erschaulich zulassen.

14] Seht, das ist schon wieder ein Beispiel auf der Erde. Geht in eine Glasfabrik; nehmt da Glasperlen oder sonstige Gegenstände aus Glas und werft sie hinein in die weißglühend flüssige Glasmasse im Schmelztigel, seht dann recht fest hinein und beschreibt euch gegenseitig die verschiedenen Glasperlformen, wie sie allenfalls aussehen; ihr werdet davon so viel wie gar nichts entdecken. Seht, da hätten wir schon wieder ein Beispiel auf der Erde.

15] Nun ein euch gar nahes Beispiel! Schüttet in ein ganz reines Glas ebenfalls ein ganz reines Wasser und versuchet dann, ob ihr vom gefüllten Glase die innere Wand, an der natürlich das Wasser liegt, entdecken könnt? - Noch mehr Beispiele: Leget ein vollkommen reines Glas in ein ebenfalls vollkommen reines Wasser, und ihr werdet von dem Glase eben nicht gar zu viel zu Gesichte bekommen. Ferner laßt euch von vollkommen reinem Glase, welches auf beiden Seiten spiegelblank geschliffen ist, eine Fensterscheibe einschneiden und versuchet vom Zimmer aus, etwas vom Glase der Fensterscheibe zu entdecken. Ihr könnt versichert sein, ein jeder Fremde, der in euer Zimmer kommen wird, wird zu euch sagen: Aber warum laßt ihr denn da keine Scheibe hineinschneiden? Warum wird er denn solches sagen? Weil er die Materie des reinen Glases von der gleich reinen Luft nicht zu unterscheiden vermag.

16] Dann ferner geht an einem nebligen Tage an ein Wasser und versuchet, ob ihr vom Wasser etwas entdecken könnt, wenn der Nebel auf desselben Oberfläche liegt. Andere Gegenstände werdet ihr in gleicher Entfernung noch recht gut ausnehmen; aber nur die Oberfläche des Wassers nicht, weil dieses natürlich die gleiche Färbung mit dem über ihm schwebenden Nebel annimmt. Desgleichen werdet ihr auch auf einem Gletscher selbst schon bei einem schwachen Nebel von den Eisformen desselben, sogar unter euren Füßen, nichts mehr zu entdecken imstande sein. Die Ursache liegt ebenfalls im gleichen Lichte.

17] Nehmt ihr z.B. zum Beschlusse noch an, ihr befändet euch in einer Doppelsonnen-Weltsphäre, allda nicht selten für die Bewohner der Planeten eine Sonne vor der andern, wenn schon in bedeutender Entfernung, also übersteigt, wie bei einer Sonnenfinsternis euer Mond scheinbar die Sonne verdeckt. Beim Monde könnt ihr ganz genau merken, in wie weit dessen scheinbare Scheibe über die scheinbare Scheibe der Sonne gezogen ist. Würdet ihr wohl auf eine gleiche Art zwei übereinander gezogene Sonnenscheiben ebensogut unterscheiden können? Ihr würdet da nichts als eine Zusammenschmelzung der zwei Sonnen in vollkommen eine ausnehmen; aber die Abmarkung der einen Glanzscheibe gegen die andere wird euren Augen völlig entgehen ob des gleichen Lichtes.


18] Ich meine, wir werden der Beispiele genug haben, aus denen ihr die Nichtsichtbarkeit der Gegenstände dieser Galerie gar leicht erklärlich finden werdet. Der Grund liegt nämlich darin, weil die Gegenstände in gleicher Farbe und gleicher Durchsichtigkeit mit dem sie allenthalben umgebenden ätherischen Lichtstoffe sind.

19] Dieses ist aber nicht nur materiell richtig, sondern auch geistig. Denkt euch eine Gesellschaft von vollkommen gleich weisen Menschen; wie werden sich die untereinander verhalten? Ich sage euch: nicht anders als wie Blinde, Taube und Stumme, denn keiner wird dem andern etwas zu sagen haben, weil er schon im voraus weiß, daß sein Nachbar ganz bestimmt das weiß, was er ihm sagen möchte. Ein gleicher Fall ist ja in eurem gewöhnlichen Leben ersichtlich vorhamden.

20] Was tun zwei Bekannte, so sie dann und wann zusammenkommen? Seht, alsbald fragt einer den andern: Nun, was gibt es denn Neues? Weiß einer dem andern etwas Neues zu erzählen, so wird ihn der andere mit großer Aufmerksamkeit anhören; wissen aber beide miteinander nichts, so wird der Diskurs von sehr kurzer Dauer sein. Warum denn? Weil in diesem Falle die beiderseitigen Wissenschaftslichtfarben ganz homogen sind. Derselbe Fall wird es auch sein, wenn beide eine und dieselbe Neuigkeit schon geraume Zeit wissen. Wie der eine dieselbe zu erzählen anfangen wird, so wird ihm der andere sogleich sagen: O das ist ja schon etwas Altes; wenn du nichts Besseres weißt, so haben wir schon ausgeredet.

21] Desgleichen ist es auch der Fall, wenn ein Blinder den andern führen soll, oder ein Dummer den andern unterrichten. Wie weit dergleichen Menschen kommen werden, ist bekannt und braucht nicht näher erörtert zu werden.

22] Aber aus eben dem Grunde können auch die Menschen auf dem Erdkörper die sie umgebenden Geister nicht sehen, weil sie selbe sehen möchten mit ihren Augen, die da homogen sind mit ihrem Verstande, und dieser homogen mit der formellen Substanz der Geister.

23] Wenn aber jemand in seine Liebe geht, welche ein anderes Licht ist als das Licht der puren Weisheit, so wird er auch sobald die geistigen Formen um sich zu schauen anfangen, und diese werden sobald verschwinden, wie er sie in sein Denken aufnehmen wird. - Seht, das ist so ein kleiner Anfang von dem, was wir hier werden kennenlernen; fanget daher nur recht tüchtig an, um euch umherzugreifen, und wir werden fürs nächste Mal hinreichend Stoff zur belehrenden Erörterung bekommen.

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