Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 3, Seite 135


08] Seht, das ist die Aufnahme des Wortes in das innere Gefühlsleben. Wenn das Wort da Wurzeln gefaßt hat, so fängt es an zu wachsen und wird größer und größer und bildet auf diese Weise vorerst einen Leib, das ist einen Leib der Buße, in welchen Leib also das Alles des äußeren Leibes übergegangen ist. Dieser Leib ist dann der eigentliche Johannes.

09] Aber möchte hier nicht jemand fragen, warum soll denn dieser edle Leib auch wieder abzunehmen anfangen, und was ist das dadurch wachsen sollende Er? Seht, so das Wort ausgewachsen ist in dem Leben des Gefühles, was wird da rege oder wohin zielt das Gefühl? Kann sich das Gefühl wohl selbst genügen? Oder muß es nicht einen anderen Gegenstand haben, den es ergreift und endlich ganz in ihn übergeht?

10] Damit ihr dieses wieder um so gründlicher fasst, so will Ich euch ein neues Gleichnis geben. Eine Braut bekommt von fernem Lande ein Schreiben von ihrem Bräutigam. Sie liest jedes Wort mit großer Aufmerksamkeit. Wie sie aber den Brief durchgelesen hat, so hat sich auch sogleich darauf aus diesem Worte ein Wesen in ihr gebildet - nämlich ein Gefühlsmensch gleich dem ihres Bräutigams, in welchen Menschen nun ihr ganzes äußeres Blütenleben übergegangen ist, so zwar, daß sie jetzt lediglich in diesem zweiten Menschen lebt, atmet, denkt und fühlt.

11] Seht, dieser Mensch ist sonach auch ein Johannes in der Braut, der sie durch seine Bußpredigt genötiget hat, sich von aller anderen Welt abzuziehen und sich zu vereinen mit diesem neuen Menschen in ihr. Nun aber frage Ich weiter: Wird die Braut wohl zufrieden sein mit diesem in ihr gebildeten Menschen, welcher doch noch immer das Ich ausmacht? Nein, sondern sie wird in diesem neuen Menschen gar bald die lebendige Frucht der Liebe gar mächtig zu dem Er wahrzunehmen anfangen, so zwar, daß sie ganz in diese Liebe zum Er übergehen wird. Aus diesem Er wird sich ihr Verlangen immer lebendiger und lebendiger nach dem eigentlichen Er aussprechen und wird nimmer ruhen, bis der wirkliche Er gekommen ist und sie vollkommen eins mit ihm geworden ist.

12] Seht, also ist es auch der Fall mit dem Worte im Menschen, da es vorher in das lebendige Gefühl übergegangen ist. Es wird keine Ruhe in dem neuen Gefühlsmenschen, als bis er das eigentliche große und heilige Er in sich gefunden hat. Wenn er aber dieses Er in sich gefunden hat, sagt und urteilet selbst, wird er nicht wollen in dieses Er vollends übergehen? Seht, solches ist ja in der Natur aller Dinge gegründet, und es ist zwischen ihnen und den Menschen kein anderer Unterschied, als daß bei den Dingen dieses vor sich gehen muß, bei dem freien Menschen aber bleibt es eine willkürliche Bedingung seines Lebens.



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