Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


102. Kapitel: Des Cyrenius Werbung um Tullias Hand und seine Prüfung durch Tullia. Ein Evangelium der Ehe. (27.12.1843)

01] Nach der Erholung sprach Cyrenius wieder zur Tullia: »Tullia möchtest du mir denn nicht die Hand reichen und werden mein rechtmäßiges Weib, so ich dich dazu aus dem tiefsten Grunde meines Herzens bitten würde?«

02] Und Tullia sprach: »Was möchtest du mir wohl tun, so ich dir solches verweigern würde?«

03] Und Cyrenius sprach, etwas erregt, aber immer noch aus dem besten Herzen:

04] »Dann würde ich es Dem aufopfern, den du auf deinen Armen hältst, und würde sodann traurig ziehen von dannen!«

05] Und Tullia fragte den Cyrenius weiter, sagend nämlich: »Was würdest du denn dann tun, so ich Den, der nun auf meinen Armen ruht, um einen Rat fragen würde, was ich tun solle,

06] und Er widerriete mir, anzunehmen deinen Antrag, und hieße mich treu verbleiben dem Hause, das mich so überaus freundlichst aufgenommen hat?«

07] Und Cyrenius stutzte bei dieser Frage ein wenig, sprach aber dennoch, etwas verlegen:

08] »Ja dann, du meine herrlichste Tullia, dann müßte ich freilich ohne Widerrede alsbald abstehen von meinem Verlangen!

09] Denn gegen den Willen Dessen, dem alle Elemente gehorchen, kann sich der sterbliche Mensch ewig nimmer auflehnen.

10] O frage aber das Kindlein ja sogleich, auf daß ich ehestens erfahre wie ich daran bin!«

11] Das Kindlein aber richtete Sich sogleich auf und sprach: »Ich bin nicht ein Herr dessen, was der Welt ist; daher seid ihr von Mir aus in allem Weltlichen frei!

12] Habt ihr aber wahre Liebe in euren Herzen zueinander gefaßt, da sollt ihr dieselbe nicht brechen!

13] Denn es gilt bei Mir kein anderes Gesetz für die Ehe, als welches da mit glühender Schrift geschrieben steht in euren Herzen.

14] Habt ihr euch aber schon beim ersten Anblicke laut dieses lebendigen Gesetzes erkannt und verbunden, da sollt ihr euch nicht mehr trennen, so ihr nicht sündigen wollt vor Mir!

15] Ich halte aber kein weltlich Eheband für gültig, sondern allein das des Herzens;

16] wer dieses bricht, der ist ein wahrhaftiger Ehebrecher vor Mir!

17] Du, Mein Cyrenius, hast zu dieser Tochter dein Herz gar mächtig gefaßt; daher sollst du es nicht mehr abwenden von ihr!

18] Und du, Tochter, aber warst beim ersten Anblicke brennend schon in deinem Herzen zum Cyrenius darum bist du schon sein Weib vor Mir und brauchst nicht erst eines zu werden!

19] Denn bei Mir gilt nicht äußerer Rat oder Widerrat, sondern allein der Rat eurer Herzen ist bei Mir gültig.

20] Bleibt sonach diesem für ewig getreu, wollt ihr nicht zu wahrhaftigen Ehebrechern werden vor Mir!

21] Verflucht aber sei ein Widerräter aus weltlichen Gründen in der Sache der Liebe, die von Mir ist!

22] Was ist denn mehr: die lebendige Liebe, die aus Mir ist, oder der weltliche Grund, der aus der Hölle ist?

23] Wehe aber auch der Liebe, deren Grund die Welt ist, - sie sei verflucht!«

24] Diese Worte des Kindleins machten, daß sich alle entsetzten, und niemand getraute sich weiter etwas zu reden in der Sache der Ehe.



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