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Kapitelinhalt 222. Kapitel: Selbstgespräch und stille Beichte Migatzis. Er ersieht sein Nichts, möchte sich zum Herrn bekennen, fürchtet aber seine Amtsgenossen. Kaiser Joseph, in treuer Bruderliebe, hilft ihm zurecht.

Originaltext 1. Auflage 1898 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 2. Auflage 1929 Lorber-Verlag
Versnummerierung nach 3. Aufl. 1963, Lorber-Verlag

01] Sagt der Erzb.: „Wart' ein wenig; da muß ich ein wenig Nachdenken, um dir eine würdige Antwort geben zu können." - Hierauf legt der Erzb. drei Finger der rechten Hand auf seine Stirne, reibt diese recht tüchtig auf und ab und hin und her, und sagt in sich zu sich: „Bei meinem armseligsten Leben, dieser Josef ist am Ende orthodoxer als ich, der ich doch ein Erzb. und Kardinal zugleich bin; und so ich mich nicht schenirete, wär' ich beinahe genöthigt, das anzunehmen, was er mir von diesem Juden vorsagte. Wenn ich allein wäre, so wärs auch schon geschehen; aber meine sehr zahlreichen Kollegen, die hier mit mir diesen Vatikan bewohnen, würden über mich ja alle Teufel aus der Hölle heraufbeschwören, wenn ich so was thäte. Hm, hm, hm! wenn ich nur wüßt', was da des rechtens zu machen wäre. Meine Kollegen, die ohnehin immer einen Spitz auf mich haben, bewachen mich mit Argusaugen, und behorchen mich mit Midasohren; ich dürfte nur eine Miene machen, mich an diese Gesellschaft anzuschließen, so würden die Kerls sogleich also über mich herfallen, wie die hungrigsten Hunde über einen schweißenden Hasen. O Josef, du hast ganz recht in allem, was du über Rom gesagt; es ist also, und nicht anders, das weiß ich am besten; aber was kann Einer machen, der eben auch zu ihrem Gremium gehört?

02] Man muß dem Volke einen großartigen blauen Dunst vor die Augen machen, Handlungen verrichten, die einem zum Speien fade und dumm sind, und dem Volke etwas glauben machen, was man selbst doch um alle Schätze der Welt nicht glauben könnte; man muß sich ferner mit einem gottähnlichen Nimbus umgeben, während man im Grunde beiweitem unter dem Werthe eines Sauhalters steht. Denn was ist man denn als ein Erzbischof und Kardinal? Nichts, gar nichts! Man kann nichts, man weiß fast nichts mehr von allem dem, was man in den Studien gelernt hat, und auf der erzbischöflichen Höhe lernt man auch nichts mehr, als höchstens seine Finanzen in der sehr interessirten Ordnung zu erhalten, und sein hochkirchlichcs Regiment mit einer alles zermalmenden Hochwürde zu versehen, und die Hölle stets offener zu halten als den Himmel. Das ist das hohe Amt eines Erzbischofs, man stellt einen Apostelissimus vor, dem schon quasi vor dem natürlich blinden Volke die Gottheit Selbst gehorchen müßte, und ist aber in und bei sich selbst in re vera im Grunde des Grundes gar nichts, ja ein diplomirtes Nichts, das vor allem Volke in den höchsten gottähnlichen Ehren dastehet, vor sich selbst sich aber doch offenbar insgeheim ärger schämen muß, als ein Bettpisser, indem man sich doch bei nur irgend einem Gewissen alle Tage hundert Male ins Ohr raunen muß: Du bist nichts! Denn das was du vorstellst, ist an und für sich nichts; ohne Schuster und Schneider könnten die Menschen schwer bestehen, aber ohne einen Erzbischof unendlich leicht. Das ist eine unbestreitbare Wahrheit; aber wer dürfte es wagen, sie offen auszusprechen? Darin liegt eben der große Höllenhund begraben, daß selbst des redlichsten Priesters Mühe dahin gerichtet sein muß, das Nichts als ungeheuer Großes aufrecht zu erhalten, und es stets für großes Geld an das dumme Volk zu verkaufen. Wahrlich, ein schönes Geschäft für einen Ehrenmann!

03] O Josef, du hast Recht; aber ich darf dir nicht Recht geben. Denn gäbe ich dir Recht, so werden sie über mich herfallen von allen Seiten und Winkeln, und mir den Mund gehörig zu stopfen verstehen. Hm, hm, hm, wenn ich nur wüßte, wie ich mich aus den Schlingen dieser meiner Lauskollegen los machen könnte; mit dem größten Vergnügen thäte ich's. Nicht nur diesen recht ehrlich aussehenden Juden, der neben Josef stehend sich mit einem Manne und Weibe bespricht, sondern einen jeden Schusterjungen möchte ich als einen Halbgott mir gegenüber verehren und anbeten, der ich im Grunde gar nichts bin; aber meine allerfinstersten und bösesten Kollegen! O Gott, wie würde mir's da ergehen? ich weiß, mein lieber Freund Josef, so gut als du, daß ich dem Leibe nach gestorben bin; und mich schon bei 60 Jahren und vielleicht schon darüber hier in der Geisterwelt befinde, obschon ich auf der Welt nicht daran geglaubet habe, daß so 'was möglich wäre; aber wehe mir, wenn ich vor meinen Kollegen so 'was fallen ließe; ich glaube, die Kerls würden mich vor Wuth und Grimm in Stücke zerreißen, weil sie noch immer in der vollen Idee leben, daß sie noch Erzbischöfe und Kardinäle auf der Erde sind.

04] O Josef, helfe mir von meinen Kollegen, und du sollst deinen Migatzi gleich in einem andern Lichte erblicken. Migatzi war nie ein Freund Roms in seinem Herzen; mußte aber äußerlich thun, als wäre er es. Auch du, guter Josef, kanntest deinen Migatzi nicht; aber dein Migatzi kannte dich, und bot dir auch stets, so viel es möglich war, die hülfreiche Hand. Aber es ist traurig, daß ich mit dir anders reden muß, als ich denke, und so ganz eigentlich mitdir reden möchte. Du kennest Rom wohl; aber ich kenne es besser; du kennst nur, was du gesehen und gehört hast; aber ich kenne den Grund, auf dem Rom steht; den kannst du nicht kennen, und siehe, eben darin liegt der große Höllenhund begraben. So lange über den nicht ein Herkules kommt, und ihn um seine Köpfe kürzer macht, wird es nie vollends Tag auf der lieben Erde werden."

05] Auf dieß Selbstgespräch macht der Erzb. einen Seufzer, und sagt zum Josef: „Lieber Freund, ich habe dich auf eine würdige Antwort ein wenig zu warten geheißen; du hast darauf auch ganz geduldig gewartet; aber ich kann dir dennoch trotz all meines Denkens keine Antwort geben; denn es giebt Dinge zwischen dem Monde und der Sonne, von denen sich noch keine menschliche Weisheit etwas träumen hat lassen; ich hoffe, du wirst mich verstehen?"

06] Sagt Josef: „Ja, ja, ich verstehe dich, und in diesen Räumen giebt es noch eine große Menge Erzpfaffen, vor denen du eine unsägliche Furcht hast, die aber eben so eitel und leer ist, als deine Erzbischöfliche Hochwürde. Siehe, der Herr hat mir das Ohr meines Herzens aufgethan, und ich vernahm deine Gedankenrede; daher du mir nun denn auch keine Antwort mehr zu geben brauchst, indem ich die Antwort schon habe. Von nun an aber bist du auch ganz mein liebster Freund, und der Herr hier wird das an dir gut machen, was dir noch fehlet. Lasse aber ab von der thörichten Furcht vor deinen finstern Kollegen; sie werden dir nichts thun; dafür steh' ich dir! Ihretwegen sind wir auch nicht hierher gekommen, sondern deinetwegen, weil ich dich kenne; bist du unser, dann sind wir hier aber auch schon fertig; wende dich aber nun an den Herrn; Er wird dich mit einem Worte ganz gesund machen. Gehe, und thue das!" (Am 23. Juli 1850)

07] Spricht der Erzb.: „Lieber Freund Josef! du weißt, daß ich mit dir in allem, was mein Innerstes betrifft, vollkommen einverstanden bin, was du als recht, gut und wahr erkennst: nur mit dem, daß dieser dein sonst überaus bieder aussehender Abrahamssohn - Jesus der göttliche Meister aus Nazareth sei, kann ich mich noch nicht ganz einverstehen; Jesus der Herr sollte denn doch etwas von der Herrlichkeit Seines himmlischen Vaters durchblicken lassen. Aber bei Diesem da schaut doch eben so wenig irgend etwas Göttliches heraus, als wie bei sonst was immer für einem ganz gewöhnlichen Menschen.

08] Aber, sei ihm nun, wie ihm wolle. Christus, der Gesalbte Gottes, der wahre Hohe-Priester in Ewigkeit, ist die Liebe Gottes zu den Menschen; so Er mir armen Sünder vor Ihm die Liebe erweisen wird, so ist Er dann aber auch um alles, was du haben willst, mein Christus und mein Heiland in Ewigkeit, und wäre Er auch im Kostüme eines Schusterjungen vor mir. Erweiset Er mir aber keine Liebe, und wird Er mit mir verfahren wie ein römischer Pfaffe, dann gebe ich nichts für Ihn.

09] Leider war ich selbst auch ein römischer Hochpfaffe, und mußte auch von der alleinseligmachenden Kirche predigen, und alles verdammen, was nicht vor der Tiara die Knie beugte; aber Gott Lob, wie du's immer sagst, mir war es bei solchen Verdammungen wohl eben so wenig Ernstes, als wie bei einem Vater, der auch zu seinen Kindern äußerlich hindonnert: Wenn ihr nicht brav sein werdet, so werde ich den schwarzen Juden kommen lassen, der wird euch mit Ketten binden, und euch in einen finstern Wald bringen, und daselbst umbringen. So ungefähr war es mir bei solch einer Verdammungspredigt zu Muthe. Denn für's erste glaubte ich doch durch mein ganzes Leben nie an ein Fegfeuer, und noch weniger an eine Hölle, weil ich weder das eine und noch weniger das andere mit der göttlichen Liebe und Weisheit in eine Uebereinstimmung bringen konnte; und fürs zweite liebte ich die Menschen zu sehr, als daß es mir je Ernst sein könnte, auch den bösesten aus ihnen auf ewig zu verdammen;

10] denn auch der Böseste hat nur eine gewisse Zeit hindurch böse sein können, und besaß höchst wahrscheinlich ein solches Naturell, nicht anders handeln zu können; wird ein solcher Bösewicht nach genauer Durchsuchung seiner Natur, seiner Erziehung, der Handlungsbeweggründe, der Umstände, in denen er sich befand, zu einer zweckmäßigen Strafe zeitlich verurtheilet, entweder auf der Erde schon, oder nach dem Abfalle des Fleisches hier im Reiche der Geister auf so lange, als er sich vollends bessert, dann ist eine Strafe gut und gerecht; aber eine ewige Strafe für ein zeitliches Vergehen kann doch unmöglich je angenommen und noch viel weniger von der höchsten Weisheit und Liebe Gottes angeordnet sein; denn so was ziemte wohl einem Erztyrannen, aber einem Gott der Liebe ewig nimmer.

11] Du siehst hieraus, daß ich in mir durchaus kein eigentlicher Pfaffe war; denn davor bewahrten mich meine durch und durch filantropischen Grundsätze; finde ich nun Christum, wie Er ist, und nicht wie Ihn Rom predigt, so ist Er Christus auch im Gewande eines Schusterjungen. Ist Er aber Christus nach römischer Art, dann sei uns gnädig und barmherzig wer da wolle; denn dann ist unser Loos entschieden: dir ewig lichterlohbrennende Hölle, aus der natürlich ewig kein Ausweg mehr zugelassen wird. Guten Appetit! wem solch eine Gerechtigkeitskost schmeckt. Ich für meinen Theil schaffe ewig nichts davon, und wünsche mit dem vollsten Ernste von der Welt aller Geister mit solch einem Christuse ewig nicht zusammenzukommen. Denn der kann mir, wie die lustigen Wiener sagen, mit Haut und Haaren gestohlen werden."

12] Sagt Josef: „Bin ganz deiner Ansicht, und deines Verlangens; aber bei eben Diesem wirst du das finden, was du finden willst, einen Herrn, der dir wie uns Allen vollends ans Herz gewachsen ist. Kurz, einen weiseren und besseren Christus kannst du dir in Ewigkeit nicht denken, und noch viel weniger wünschen, als wie dieser allein Wahre und Einzige es ist. Daß aber auch ich keinen rachesüchtigen Strafegott mir je denken habe können, sondern nur einen weisen und milden Vater voll ernster Liebe, beweiset ja mein mildes Strafgesetz, da ich die entsetzliche Todesstrafe gänzlich aufhob, und selbst die gröbsten Verbrecher nur mit solchen Strafen belegte, durch die sie wieder zu Menschen werden konnten; die Todesstrafe ließ ich bloß im Anfange an ein paar gar zu teuflisch muthwillig allergräßlichst bösesten Verbrechern vollführen; der Eine hatte sein Weib, oder Geliebte, was sie sein mochte, bloß aus Muthwillen bei lebendigem Leibe anatomirt, und die Leibstheile dann zur nächtlichen Weile auf den Gassen herum zerstreuet; und der andere war ein Herzblutsauger, ein Vampyr in optima forma. Bei diesen Beiden mußte ein Beispiel statuirt werden. Und dennoch gereuete es mich nach der Hand; hätte ich sie zum Galeerenzuge gegeben, so hätten sie vielleicht auch noch können zu Menschen umwandelt werden; aber nicht so sehr ich, als vielmehr das Volk verlangte die Hinrichtung dieser Ungeheuer, und so dachte ich: Vox populi, vox dei, und ließ sie exemplarisch töten. Ob ich da vollends recht gehandelt habe, weiß ich kaum; aber das weiß ich, daß ich dabei durchaus keinen argen und rachesüchtigen Willen hatte. Du siehst also hieraus" -

13] hier unterbricht den Josef der Erzb., und sagt: „Ja, ja, ja, ich sehe, daß du ein vollkommen edelster Regent warst, und ein echter Mensch nach dem Willen Gottes; und so denn nehme ich denn auch diesen deinen Freund als Christum an, und möge mir nun schon geschehen, was da nur immer wolle. Meine Kollegen werden nun bald ein Zetergeschrei erheben, und wie die Teufel über mich herfallen; aher Migatzi wird bleiben bei dem, was er nun angenommen hat. Ich höre sie schon kommen; nun, das wird eine saubere Mette werden!"

01] Sagt der Erzbischof Migatzi: "Warte ein wenig, da muß ich ein wenig nachdenken, um dir eine würdige Antwort geben zu können!" - Hieraus legt der Erzbischof drei Finger der rechten Hand auf seine Stirne, reibt diese recht tüchtig auf und ab und hin und her und sagt in sich zu sich selbst: "Bei meinem armseligsten Leben, dieser Joseph ist am Ende orthodoxer als ich, der ich doch ein Erzbischof und Kardinal zugleich bin! Und so ich mich nicht genierte, wäre ich beinahe genötigt, anzunehmen, was er mir von diesem Juden vorsagte. Wenn ich allein wäre, so wäre es auch schon geschehen. Aber meine sehr zahlreichen Kollegen, die hier mit mir diesen Vatikan bewohnen, würden über mich ja alle Teufel aus der Hölle heraufbeschwören, wenn ich so was täte. Hm, hm, hm! Wenn ich nur wüßte, was da des Rechtens zu machen wäre! Meine Kollegen, die ohnehin immer einen Spitz auf mich haben, bewachen mich mit Argusaugen und behorchen mich mit Midasohren. Ich dürfte nur eine Miene machen, mich an diese Gesellschaft anzuschließen, so würden die Kerls sogleich also über mich herfallen, wie die hungrigsten Hunde über einen schweißenden Hasen. - O Joseph, du hast ganz recht in allem, was du über Rom gesagt! Es ist also und nicht anders, das weiß ich am besten! Aber was kann einer machen, der eben auch zu ihrem Gremium (Körperschaft, Gemeinschaft) gehört?

02] Man muß dem Volke einen großartigen blauen Dunst vor die Augen machen, Handlungen verrichten, die einem zum Speien fade und dumm sind, und dem Volke etwas glauben machen, was man selbst doch um alle Schätze der Welt nicht glauben könnte. Man nuß sich ferner mit einem gottähnlichen Nimbus umgeben, während man im Grunde bei weitem unter dem Werte eines Schweinehalters steht. Denn was ist man denn als ein Erzbischof und Kardinal?! Nichts, gar nichts! Man kann nichts, man weiß fast nichts mehr von all dem, was man in den Studien gelernt hat. Und auf der erzbischöflichen Höhe lernt man auch nichts mehr als höchstens seine Finanzen in der sehr interessierten Ordnung zu erhalten und sein hochkirchliches Regiment mit einer alles zermalmenden Hochwürde zu versehen und die Hölle stets offener zu halten als den Himmel. Das ist das hohe Amt eines Erzbischofs! Man stellt einen Apostelissimus (Oberapostel) vor, dem vor dem blinden Volke schon sozusagen die Gottheit Selbst gehorchen müsse, und ist aber in und bei sich selbst in re vera (in Wahrheit) im Grunde des Grundes gar nichts, ja ein diplomiertes Nichts, das vor allem Volke in den höchsten, gottähnlichen Ehren dasteht, vor sich selbst sich aber doch offenbar insgeheim ärger schämen muß als ein Bettpisser, indem man sich doch bei nur irgendeinem Gewissen alle Tage hundert Male ins Ohr raunen muß: ,Du bist nichts! Denn das was du vorstellst, ist an und für sich nichts! Ohne Schuster und Schneider könnten die Menschen schwer bestehen, aber ohne einen Erzbischof unendlich leicht!' Das ist eine unbestreitbare Wahrheit; aber wer dürfte es wagen, sie offen auszusprechen?! Darin liegt eben der große Höllenhund begraben, daß selbst des redlichsten Priesters Mühe dahin gerichtet sein muß, das Nichts als ungeheuer Großes aufrecht zu erhalten und es stets für großes Geld an das dumme Volk zu verkaufen! Wahrlich, ein schönes Geschäft für einen Ehrenmann!

03] O Joseph, du hast recht! Aber ich darf dir nicht recht geben! Denn gebe ich dir recht, so werden sie über mich herfallen von allen Seiten und Winkeln und mir den Mund gehörig zu stopfen verstehen. Hm, hm, hm, wenn ich nur wüßte, wie ich mich aus den Schlingen dieser meiner Lauskollegen losmachen könnte! Mit dem größten Vergnügen täte ich's. Nicht nur diesen recht ehrlich aussehenden Juden, der, neben Joseph stehend, sich mit einem Mann und einem Weibe bespricht, sondern einen jeden Schusterjungen möchte ich als einen Halbgott mir gegenüber verehren und anbeten, der ich im Grunde gar nichts bin. Aber meine allerfinstersten und bösesten Kollegen! O Gott, wie würde mir's da ergehen?! - Ich weiß, mein lieber Freund Joseph, so gut wie du, daß ich dem Leibe nach gestorben bin und mich schon bei sechzig Jahren und vielleicht schon darüber hier in der Geisterwelt befinde, obschon ich auf der Welt nicht daran geglaubt habe, daß so etwas möglich wäre. Aber wehe mir, wenn ich vor meinen Kollegen so etwas fallen ließe! Ich glaube, die Kerls würden mich vor Wut und Grimm in Stücke zerreißen, weil sie noch immer in der vollen Idee leben, daß sie noch Erzbischöfe und Kardinäle auf der Erde sind.

04] O Joseph, helfe mir von meinen Kollegen, und du sollst deinen Migatzi gleich in einem andern Lichte erblicken! - Migatzi war in seinem Herzen nie ein Freund Roms, mußte aber äußerlich tun, als wäre er es. Auch du, guter Joseph, kanntest deinen Migatzi nicht. Aber dein Migatzi kannte dich und bot dir auch stets, so viel es möglich war, die hilfreiche Hand. Aber es ist traurig, daß ich mit dir anders reden muß, als ich denke und so ganz eigentlich mit dir reden möchte. Du kennest Rom wohl; aber ich kenne es besser. Du kennst nur, was du gesehen und gehört hast; aber ich kenne den Grund, auf dem Rom steht; den kannst du nicht kennen - und siehe, eben darin liegt der große Höllenhund begraben. Solange über den nicht ein Herkules kommt und ihn um seine Köpfe kürzer macht, wird es nie vollends Tag auf der lieben Erde werden!"

05] Aus dies Selbstgespräch macht der Erzbischof einen Seufzer und sagt zu Joseph: "Lieber Freund, ich habe dich auf eine würdige Antwort ein wenig zu warten geheißen. Du hast darauf auch ganz geduldig gewartet. Aber ich kann dir dennoch trotz all meines Denkens keine Antwort geben. Denn es gibt Dinge zwischen dem Monde und der Sonne, von denen sich noch keine menschliche Weisheit etwas hat träumen lassen. Ich hoffe, du wirst mich verstehen!?"

06] Sagt Joseph: "Ja, ja, ich verstehe dich, und in diesen Räumen gibt es noch eine große Menge Erzpfaffen, vor denen du eine unsägliche Furcht hast, die aber ebenso eitel und leer ist wie deine erzbischöfliche Hochwürde. Siehe, der Herr hat mir das Ohr meines Herzens aufgetan und ich vernahm deine Gedankenrede, weshalb du mir nun denn auch keine Antwort mehr zu geben brauchst, da ich die Antwort schon habe. - Von nun an aber bist du auch ganz mein liebster Freund, und der Herr hier wird das an dir gutmachen, was dir noch fehlet. Lasse aber ab von der törichten Furcht vor deinen finstern Kollegen. Sie werden dir nichts tun; dafür stehe ich dir! Ihretwegen sind wir auch nicht hierher gekommen, sondern deinetwegen, weil ich dich kenne. Bist du unser, dann sind wir hier auch schon fertig! - Wende dich aber nun an den Herrn! Er wird dich mit einem Worte ganz gesund machen! - Gehe und tue das!"

07] Spricht der Erzbischof: "Lieber Freund Joseph! Du weißt, daß ich mit dir in allem, was du als recht, gut und wahr erkennst, in meinem Innersten vollkommen einverstanden bin; nur mit dem, daß dieser dein sonst überaus bieder aussehender Abrahamssohn - Jesus, der göttliche Meister aus Nazareth sei, kann ich mich noch nicht ganz einverstehen! Jesus, der Herr, sollte denn doch etwas von der Herrlichkeit Seines himmlischen Vaters durchblicken lassen. Aber bei diesem da schaut doch ebensowenig irgend etwas Göttliches heraus wie bei sonst einem ganz gewöhnlichen Menschen!

08] Aber sei ihm nun, wie ihm wolle, Christus, der Gesalbte Gottes, der wahre Hohe-Priester in Ewigkeit, ist die Liebe Gottes zu den Menschen. So Er mir armem Sünder vor Ihm die Liebe erweisen wird, so ist Er dann aber auch um alles, was du haben willst, mein Christus und mein Heiland in Ewigkeit, und wäre er auch im Gewande eines Schusterjungen vor mir! Erweist Er mir aber keine Liebe und wird Er mit mir verfahren wie ein römischer Pfaffe, dann gebe ich michts für Ihn.

09] Leider war ich selbst auch ein römischer Hoch-Pfaffe und mußte auch von der alleinseligmachenden Kirche predigen und alles verdammen, was nicht vor der Tiara die Knie beugte. Aber gottlob, wie du immer sagst, mir war es bei solchen Verdammungen wohl ebensowenig Ernst als wie bei einem Vater, der auch zu seinen Kindern äußerlich hindonnert: »Wenn ihr nicht brav sein werdet, so werde ich den schwarzen Juden kommen lassen; der wird euch mit Ketten binden und euch in einen finstern Wald bringen und daselbst umbringen!« - So ungefähr war es mir bei solch einer Verdammungspredigt zumute. Denn fürs erste glaubte ich doch mein ganzes Leben hindurch nie an ein Fegfeuer und noch weniger an eine Hölle, weil ich weder das eine und noch weniger das andere mit der göttlichen Liebe und Weisheit in Übereinstimmung bringen konnte. Und fürs zweite liebte ich die Menschen zu sehr, als daß es mir je Ernst sein konnte, auch den bösesten von ihnen auf ewig zu verdammen.


10] Denn auch der Böseste kann nur eine gewisse Zeit hindurch böse sein und besaß (im Anfang) höchst wahrscheinlich ein solches Naturell, nicht anders handeln zu können. Wird ein solcher Bösewicht nach genauer Durchsuchung seiner Natur, seiner Erziehung, der Handlungsbeweggründe, der Umstände, in denen er sich befand, entweder auf der Erde schon oder nach dem Abfalle des Fleisches hier, im Reiche der Geister, zu einer zweckmäßigen Strafe zeitlich auf so lange verurteilt, bis er sich völlig bessert - dann ist eine Strafe gut und gerecht. Aber eine ewige Strafe für ein zeitliches Vergehen kann doch unmöglich je angenommen und noch viel weniger von der höchsten Weisheit und Liebe Gottes angeordnet sein! Denn so etwas ziemete wohl einem Erztyrannen, aber einem Gott der Liebe ewig nimmer!

11] Du siehst hieraus, daß ich in mir durchaus kein eigentlicher Pfaffe war; denn davor bewahrten mich meine durch und durch menschenfreundlichen Grundsätze. Finde ich nun Christum, wie Er ist und nicht wie Ihn Rom predigt, so ist Er (mir) Christus auch im Gewande eines Schusterjungen. Ist Er aber Christus nach römischer Art, dann sei uns gnädig und barmherzig, wer da wolle! Denn dann ist unser Los entschieden - die ewig lichterloh brennende Hölle, aus der natürlich ewig kein Ausweg mehr zugelassen wird! Guten Appetit, wem solch eine Gerechtigkeitskost schmeckt! Ich für meinen Teil halte ewig nichts davon und wünsche mit dem vollsten Ernste aller Geisterwelt mit solch einem Christus ewig nicht zusammenzukommen; denn der kann mir, wie die lustigen Wiener sagen, mit Haut und Haaren gestohlen werden."

12] Sagt Joseph: "Bin ganz deiner Ansicht und deines Verlangens! Aber bei eben diesem Christus hier wirst du das finden, was du finden willst - einen Herrn, der dir wie uns allen völlig ans Herz gewachsen ist! Kurz, einen weiseren und besseren Christus kannst du dir in Ewigkeit nicht denken und noch viel weniger wünschen, als wie dieser allein wahre und einzige es ist! - Daß aber auch ich keinen rachesüchtigen Strafegott mir je habe denken können, sondern nur einen weisen und milden Vater voll ernster Liebe, beweist ja mein mildes Strafgesetz, da ich die entsetzliche Todestrafe gänzlich aufhob und selbst die gröbsten Verbrecher nur mit solchen Strafen belegte, durch die sie wieder zu Menschen werden konnten. Die Todesstrafe ließ ich bloß im Anfange an ein paar gar zu teuflisch-mutwilligen, allergräßlichst bösen Verbrechern vollführen. Der eine hatte sein Weib oder seine Geliebte, was sie sein mochte, bloß aus Mutwillen bei lebendigem Leibe zerstückelt und die Leibesteile dann zur nächtlichen Weile auf den Gassen herumgestreut. Und der andere war ein Herzblutsauger, ein Vampyr in optima forma. Bei diesen beiden mußte ein Beispiel statuiert werden. Und dennoch gereuete es mich nachderhand. Hätte ich sie zum Galeerenzuge gegeben, so hätten sie vielleicht auch noch zu Menschen umgewandelt werden können. Aber nicht so sehr ich, als vielnmehr das Volk verlangte die Hinrichtung dieser Ungeheuer, und so dachte ich: Vox populi, vox dei (Die Stimme des Volkes ist Gottes Stimme.) und ließ sie exemplarisch (zum abschreckenden Beispiel) töten. Ob ich da völlig recht gehandelt habe, weiß ich kaum. Aber das weiß ich, daß ich dabei durchaus keinen argen und rachesüchtigen Willen hatte. Du siehst also hieraus - ".

13] Hier unterbricht der Erzbischof den Joseph und sagt: "Ja, ja, ja, ich sehe, daß du ein vollkommen edler Regent warst und ein echter Mensch nach dem Willen Gottes! Und so nehme ich denn auch diesen deinen Freund als Christum an, und möge mir nun schon geschehen, was da nur immer wolle! Meine Kollegen werden nun bald ein Zetergeschrei erheben und wie die Teufel über mich herfallen. Aber Migatzi wird bleiben bei dem, was er nun angenommen hat! - Ich höre, sie schon kommen! Nun, das wird eine saubere Mette werden!"

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