Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 47. Kapitel: Nikodemus unterhält sich mit Lazarus über die Lichterscheinung.

01] Sagte Nikodemus: »Da hast du, mein Bruder, wohl ganz recht! Wer fest auf Gott vertraut, dem kann nichts Arges begegnen, obwohl von Gott aus den Menschen oft so manches begegnet, worin man eine besonders gute Obsorge als von Gott ausgehend mit unserem Verstande nicht so ganz recht wohl merken kann. Mir selbst ist es schon einige Male also ergangen, und ich bin darum bei derlei großen Erscheinungen dieser Erde gleich einem Kinde, das darum stets eine Furcht vor dem Feuer hat, weil es sich schon einmal am Feuer einen Finger verbrannt hat. Und so erging es mir auch, und das schon einige Male, und das eine Mal durch einen Blitz, der mich betäubte und mir nachher eine Zeitlang sehr empfindliche Schmerzen in meinen Gliedern hinterließ. Ein anderes Mal wurde ich von einem Wirbelwind erfaßt, über zwei Mannshöhen in die Luft gehoben und darauf sehr unsanft auf den Boden wieder zurückgesetzt. So hat mich gut bei zwei Mal ein böses Wetter am Galiläischen Meere über fünf Stunden lang zwischen Leben und Tod umhergetrieben, und wieder ein anderes Mal ward mir mein sonst ganz sanftes und gut abgerichtetes Maultier wild, fing gar jämmerlich zu rennen an, und das so lange, bis es vor Müdigkeit niedersank und mir einen Fuß stark quetschte. Daran war denn auch ein starker Blitz und ein schnell darauf folgender Donner schuld.

02] Und siehe, diese und mehrere Unfälle sind mir durch pure Naturerscheinungen zuteil geworden, und so habe ich gleichfort eine kleine Angst, wenn ich so etwas ganz Besonderes von einer Erscheinung wieder erlebe. Ich habe bei allen meinen Unfällen wohl mein irdisches Leben nicht verloren, was bei ähnlichen unverschuldeten Gelegenheiten gar vielen Menschen schon begegnet ist; aber ich bin dennoch stets voll Angst, wenn in der Natur der Erde durch Zulassung Gottes solche Erscheinungen zum Vorscheine kommen, mit denen sich unsere menschlichen Kräfte nimmer messen können. Und das ist eben jetzt ganz besonders der Fall, wo dort im Osten die zwölf ungeheuren Feuer- und Lichtsäulen alles auf dem Erdenrund zu vernichten drohen. Ich glaube an Gott und vertraue fest darauf, daß Er uns vor allem großen Unglück beschützen wird; aber gerade dort, wo die sehr drohend aussehenden Säulen den Boden der Erde berühren, möchte ich mich gerade nicht befinden, - denn dort wird es sicher sehr feuerstürmisch aussehen.«

03] Sagte unser Lazarus aus Mir: »Auch dort in der Gegend des Euphrat wird keinem Wesen durch diese Säulen etwas geschehen, dessen du völlig versichert sein kannst und dich darum durchaus nicht zu ängstigen brauchst. Doch sieh nun, die mittleren zehn Säulen rücken nun näher und näher aneinander; nur die beiden äußeren bleiben noch unbeweglich! Sieh, das ist schon eine Veränderung! Und nun stoßen je zwei und zwei gar zusammen und einen sich so, daß wir jetzt gar nur fünf große Mittelsäulen sehen, ohne daß dadurch das Licht stärker oder gar schwächer wird. Siehe, wiederum eine Veränderung! Die beiden äußeren Säulen rühren sich noch nicht!«

04] Sagte Nikodemus: »Diese merkwürdige Veränderung scheint mir nun von einem denkenden Wesen geleitet zu sein, da sonst derlei Erscheinungen mehr plump und ganz planlos untereinander sich begegnen, sich manchmal einen, manchmal auch zersplittern oder gar zerstören. Man nehme nur die höchst ungeschickten und planlosen Wolkenzüge bei Stürmen an und die Planlosigkeit der dahinzuckenden Blitze! Aber hinter dieser großartigsten Erscheinung scheint auf jeden Fall ein höchst klug denkendes Wesen verborgen zu sein, und man könnte beinahe den Gedanken fassen, daß das irgendeine neue Zauberei der Essäer sei, die in jener Gegend sicher auch neue Besitzungen haben. Denn diese Leute ziehen alle Zaubereien der ganzen Welt auf einen Punkt zusammen und sind selbst sehr erfinderisch in derlei ungewöhnlichen Dingen. Da sieh nur hin! Nun fangen die fünf Säulen sich auch zu einen an! Ihre Bewegung geht rasch vor sich, und siehe, sie sind schon eins! Ah, das wird die Templer und das Volk denken und ordentlich verzweifeln machen und wird manchem Schwachen zum Wahnsinn helfen!«

05] Sagte Lazarus: »Jetzt minder denn ehedem; denn nun fangen schon viele an, diese Sache den etwa in jüngster Zeit ankommenden indischen Magiern in die Schuhe zu schieben, weil ihnen die Sache der Erscheinung zu plan- und regelmäßig vorkommt.«

06] Sagte Nikodemus: »Aber für was hältst nun du diese wirklich höchst merkwürdige Erscheinung? Denn ob sie schon auch von Magiern hervorgebracht werden könnte, so könnte sie, vermöge ihrer ungeheuren Großartigkeit auch noch eher von Jehovas Willen herrührend, etwa darum dasein oder wenigstens zugelassen sein, um besonders uns Juden irgend etwa ein kommendes Gericht oder sonst einen noch verborgenen Plan, was Gott mit uns Menschen vorhat, damit anzuzeigen. Weißt du, wer hinter dieser Erscheinung allenfalls noch stecken könnte?«

07] Fragte ihn Lazarus: »Wer kann da von dir gemeint sein?«

08] Sagte Nikodemus: »Der gewisse wunderbare Heiland aus Nazareth! Er war nun auf dem Feste und - glaube - zweimal im Tempel, wo er den Pharisäern die tüchtigsten Wahrheiten ins Gesicht gesagt hat, so daß sie Ihn am Ende gar steinigen wollten. Er zog darauf sicher weiter, und Er dürfte nun von dem Orte, wo unsere Erscheinung aufsteigt, eben nicht gar zu weit entfernt sein. Ich habe diesmal leider keine Gelegenheit finden können, daß ich Ihn geheim wieder besucht hätte; denn du weißt schon, welche Tendenzen nun der Tempel verfolgt. Aber es macht das nun nichts, da ich - unter uns gesagt - an Ihn und Seine Sendung glaube; denn so Er der Messias nicht ist, so kommt fürder auch schon ewig kein zweiter mehr in diese Welt. Doch das kann ich dir - verstehe mich - nur so unter vier Augen sagen, weil ich wohl weiß, daß auch du meiner Ansicht sein wirst, so wie viele aus dem Volke; aber man darf nun das noch nicht gar zu laut in Jerusalem aussprechen. Also, Freund, der erwähnte Heiland dürfte um diese Erscheinung wohl auch wissen; und was sie allenfalls anzeigen soll oder könnte, darum wird auch Er schier am besten wissen. - Was sagst nun du zu dieser meiner Ansicht?«

09] Sagte Lazarus: »Ja, ja, da könntest du wohl schon recht haben; nur begreife ich das noch nicht so ganz wohl von dir, wenn du sagst, daß du glaubst, daß der Heiland aus Nazareth im Ernste der verheißene Messias sei, dabei aber dennoch eine Furcht hast, Ihn als das, was Er unzweifelhaft ist, ohne alle Furcht laut vor aller Welt zu bekennen. Ist Er der Messias, so ist Er laut gar vielen dir wohlbekannten Stellen des Moses, Elias, Jesajas, Jeremias und noch vieler anderer Propheten und Seher Jehova Zebaoth Selbst. Ist Er aber das, - was ist dann alle Welt gegen Ihn?! Kann Er sie nicht verwehen mit einem Hauch, wenn sie Ihm am Ende doch zu mißliebig würde und der Menschen zu große Bosheit Seine Geduld auf eine zu große Probe stellte?! Wenn aber sonach Er eben der allmächtige Herr der ganzen Schöpfung unzweifelhaft ist und du das auch glaubst, - wie kannst du da noch eine Furcht vor der dummen und blinden Welt haben?! Siehe, das ist mir an dir wahrlich nicht sehr einleuchtend! Daß du ein erstes Mal nur in der Nacht Ihn besuchtest, das war wohl begreiflich; aber Er war seitdem schon ein paar Male hier, und du hast Ihn weder in der Nacht und noch weniger am Tage wieder besucht, und das war offenbar nicht recht von dir. Nur wenn du nicht völlig glaubst, daß Er der wahrhafte Messias ist, so entschuldigt das ein wenig deine Furcht und Lauheit, und du kannst das Versäumte wohl noch einholen! - Hast du mich wohl verstanden, was ich dir damit gesagt habe?«

10] Sagte Nikodemus: »Bruder, du hast vollkommen recht; aber was kann man tun, wenn man leider ein Mitglied des Tempels ist und bloß dahin alle Hände voll Arbeit hat, um den Tempel nur so zu stimmen, daß er sich nicht zu grelle Übergriffe in die Rechte der Menschen erlaubt? Um aber das zu bewirken, muß man leider oft mit den Wölfen zu heulen anfangen und sie heimlich klugermaßen von guten Herden ablenken, damit diese von ihnen nicht ganz zerrissen und gefressen werden! Und so war es mir wahrlich nicht so leicht möglich, abzukommen und mich mit dem Heilande nach Gebühr zu beschäftigen, so wie ich auch mit dir als meinem bewährtesten Freunde außer im Tempel schon beinahe zwei Jahre lang nicht habe zusammenkommen können. Denn es machte eben der Prophet Johannes und nun der Heiland aus Nazareth dem Tempel große Sorgen, und es ward über Seine Bewegungen und Lehren beinahe allwöchentlich großer Rat gehalten und es wurden Mittel ergriffen, Ihn verstummen zu machen; aber es fruchtete bis jetzt alles zusammen nichts, weil das Volk Ihn teils für einen großen Propheten, teils aber auch schon im Ernste für einen groß werdenden neuen König und größtenteils aber auch schon für den vollwahren Messias hält, was auch aufrichtig gesagt - bei mir selbst der Fall ist.

11] Das Merkwürdige dabei aber ist nur das, daß Er bei den Römern einen großen Anhang hat, und Ihm bei der Ausbreitung Seiner Lehre von ihnen gar kein Hindernis in den Weg gelegt wird! Das halte ich für ein großes Wahrzeichen für die Echtheit Seiner Messiaswürde. Weißt du aber nun nicht, wo Er etwa von Jerusalem hingezogen ist? Bei dieser Gelegenheit hätte ich selbst gute Lust, Ihn aufzusuchen und mich mit Ihm zu besprechen.«

12] Sagte Lazarus: »Freund, sieh nun nur wieder die drei Licht- und Feuersäulen an; denn nun fangen die beiden äußeren Säulen auch an, sich zu bewegen, und nähern sich der einen Mittelsäule. Wir wollen nun sehen, was daraus werden wird! Sieh, die eine von der mittäglichen Seite her hat sich nun schon mit der Mittelsäule vereinigt; aber die von der Nordseite her blieb stehen, und wir sehen nun nur noch zwei, und diese zwei leuchten nun ebenso stark wie die früheren zwölf, denn ihr Licht ist nun greller und gediegener geworden. Ja, ich kann es mir nicht denken und vorstellen, daß es am Tage heller sein könnte! Nur das Firmament ist dunkler, und hie und da in der Abendgegend ist noch ein oder der andere große Stern ersichtlich.

13] Und da sieh in die Stadt hinab, wie die Menschen durcheinanderrennen! Selbst auf den Giebeln der Häuser stehen Menschen und starren nach der Erscheinung hin! Aber nun bewegt sich auch die Nordsäule zur Mittelsäule und vereint sich mit ihr! Jetzt haben wir es nur noch mit einer Säule zu tun!«

14] Sagte Nikodemus: »Das ist wahrlich im höchsten Grade denkwürdig! Was nun etwa doch noch weiter geschehen wird?«



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