Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


254. Kapitel: Marias innerer Adel und Jesu anerkennende Worte. Des Herrn Erläuterung über die Barmherzigkeit und Feindesliebe. (16.07.1844)

01] Als Maria ihre Kleider wieder sah, da ward sie wohl froh; aber zugleich hatte sie auch wieder ein Mitleid mit denen, die ihr die Kleider zurückgebracht hatten;

02] denn sie dachte sich: ,Diese haben gewiß von dem Golde nichts erhalten, darum sie dann aus Not nach den armen Kleidern gegriffen haben.

03] ,Nun werden sie wohl einer starken Not ausgesetzt sein.

04] ,O wären sie doch da, ich gäbe ihnen ja gern die Kleider oder so viel Geld, daß sie sich ein Kleid darum anschaffen könnten!'

05] Hier kam das Kindlein zur Mutter und sprach:

06] »Aber Mutter, heute aber bist du schön! - Wenn du wüßtest, wie schön du bist, du möchtest gerade eitel werden!«

07] Maria lächelte hier und sagte zu dem sie streichelnden Kleinen:

08] »O Du mein liebster Jesus! Bin ich denn nicht alle Tage gleich schön?«

09] Und das Kindlein sprach: »O ja, du bist wohl stets sehr schön; aber manchmal bist denn doch ein wenig schöner als manchmal!

10] Heute aber bist du schon ganz besonders schön! - Wahrlich, von tausend Erzengeln bist du nun umringt, und jeder will am nächsten bei dir sein!«

11] Maria aber verstand des Kindleins Rede nicht und sah sich um und um, ob da irgendein Erzengel zu erschauen wäre.

12] Aber sie ersah nichts, als was das Zimmer enthielt, und fragte darum das Kindlein:

13] »Ja, wo sind denn hernach die tausend Erzengel, da ich doch keinen zu erschauen vermag?«

14] Da sagte das Kindlein: »Du darfst ja keinen erschauen, da könntest du eitel werden!

15] Du aber bist nun darum so schön vor allen Engeln der Himmel, weil in deinem Herzen eine so große Barmherzigkeit aufgestiegen ist, die der Meinen nahe gleichkommt!

16] Denn siehe, seine Feinde gerecht und menschlich einer Buße zu unterziehen, ist eben auch gerecht und Gott wohlgefällig, und es soll allezeit also sein auf der Erde;

17] aber seinen Feinden von ganzem Herzen ihre Schuld vergeben und ihnen dazu noch Gutes tun und sie segnen, siehe das ist rein göttlich!

18] Das bringt nur die endlose Kraft der göttlichen Liebe zuwege;

19] denn die menschliche ist dafür zu schwach!

20] Weil du aber eben solches getan hast, wie es Gott tut, darum bist du nun so schön; denn Gott ist die allerhöchste Schönheit, wie die höchste Liebe.

21] Tue nun aber auch, das dein Herz verlangt, so wird dir Mein Reich der Liebe wie ein Königtum zufallen, und du wirst eine Königin sein darinnen ewig!«

22] Hier sandte Maria sogleich Jonatha den Dieben nach, dieser brachte sie zurück, und Maria beschenkte sie alle reichlichst mit dem Gelde, das ihr, also wie dem Joseph, Jonatha gegeben hatte.



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