Kurt Eggenstein: 'Der Prophet Jakob Lorber verkündet bevorstehende Katastrophen und das wahre Christentum', IV. Teil
In der Zeit nach dem 1. Weltkrieg hatte man die Grenzen der historisch-kritischen Methode erkannt. Man setzte die Forschungen zwar fort, jedoch wurde das Schwergewicht jetzt nicht mehr auf die Findung des Originaltextes gelegt, sondern es wurde nach dem Sinn des Textes gesucht. Die Botschaft Jesu sollte interpretiert werden. Es wurde zwischen Form und Gehalt der Evangelientexte unterschieden, so daß als Folge die redaktionsgeschichtliche Betrachtungsweise vordergründige Bedeutung erhielt. Dabei faßte man die Tatsache ins Auge, daß manches, was im Evangelium steht, nicht von Jesus gesprochen wurde, sondern - wie es die Neuoffenbarung bestätigt - später von den Gemeindeleitern verändert oder eingeschoben wurde. Das Bestreben war, die Lehre Jesu rein zu erhalten, bzw. von Interpolationen und Verfälschungen zu reinigen. An der Existenz von Jesu zweifelten die Forscher nun nicht mehr. Man bezeichnet diese Methode der kritischen Forschung als die formgeschichtliche Methode. Sie ist vor allem mit den Theologen Rudolf Bultmann, Ludwig Schmidt sowie mit dem evangelischen Bischof Dibelius verbunden.
Bei der Durchführung der Arbeiten stellten sich die Wissenschaftler die Frage, welche Gründe für Manipulationen an der Botschaft Jesu für die christlichen Gemeinden bzw. deren Bischöfe ursächlich gewesen sein konnten. Dieses Problem umriß man mit dem Begriff „Der Sitz im Leben"; dieser Begriff zieht sich durch die form-geschichtlich-kritische Literatur wie ein roter Faden. „Der Sitz im Leben" hat aber den Charakter eines Schlagwortes angenommen, denn er mußte von vornherein als eine ganz unsichere Grundlage für eine einigermaßen gesicherte Erkenntnis angesehen werden. Das war den Wissenschaftlern ohne Zweifel auch klar. Zahrnt bemerkt zu diesem Problem treffend folgendes: „Die Quellenfrage bereitet in unserem Fall die größten (!) methodischen Schwierigkeiten. Denn wir besitzen keinerlei formale Kriterien, um mit Sicherheit zu entscheiden, was aus dem nachösterlichen Glauben der Gemeinde stammt und was auf Jesus selbst zurückgeht. Nur radikale Kritik führt hier zum Ziel."
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Der letzte Satz muß Verwunderung erregen. Er stellt einen Wegweiser zu einem Irrweg dar. Die englischen Theologen waren in An-
sehung der völlig unsicheren Situation zurückhaltender; sie zogen keine Konsequenzen aus den Ergebnissen dieser vagen Methode. Es genügte ihnen nicht, daß die „Stoffe in Gruppen geordnet und nach ihren Gattungsmerkmalen beschrieben" wurden. Im Hinblick auf den klaren Sachverhalt und die großen Risiken, wie sie Zahrnt unumwunden zugibt, ist es erstaunlich, daß vereinzelt Theologen die Behauptung wagen, die Methode ermögliche, eine „genauere, höchstmögliche Sicherheit (!) von echten Jesusworten und Fakten zu erreichen" 58 .
Ein Vergleich mit den Kundgaben der NO beweist, wie falsch die extremen Ergebnisse dieser Methode sind.